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Festliche Farbenpracht, Gesang und Liebestanz, Leuchten und Duften
kennzeichnen diesen Augenblick in der Tier- und Pflanzenwelt.
Bräutigam und Braut tragen ihre besten Gewänder und das Antlitz
der Liebenden ist verklärt, wie es nur einmal noch verklärt sein
wird, im Todeskuß.
Nach den Gnostikern, die Plotins Gedanken weiterführten, ist die
Vermählung mit dem Schönen ein ewig dauernder Brautkuß, ein
unendliches Zeugen im Schönen, eine Sättigung, die niemals über-
sättigt wird, das höchste Schauen und Anschauen.
Plotin leugnet als erster der uns bekannten Philosophen den rein
sinnlichen Charakter der Kunst.
Nach seiner Ansicht wirkt sie auf unsere höheren und höchsten
Seelenkräfte, fern von den mehr tierischen Instinkten und Genuß-
fähigkeiten. Wir brauchen die Kunst zur Erkenntnis des Schönen.
Das künstlerisch schöpferische Empfinden mit seiner Begeisterung
und Seligkeit ist ein Bindeglied zwischen dem Empfinden rein sinn-
licher und rein geistiger Eindrücke.
Als Tochter zweier Welten, wie sie Schiller ganz in plotinischem
Sinne später nannte, versöhnt die Kunst eine Welt mit der anderen
und löst die wehesten Zweifel der menschlichen Natur.
Um gesehen und gefühlt zu werden, braucht die Schönheit ein
inneres Auge bei jedem, auf den sie wirken soll.
Dieses innere Auge muß durch die Kunst geöffnet werden, sonst
bleibt es blind. So kann die Schönheit ohne Kunst ihres eigent-
lichen Amtes nicht walten.
Ihr Amt besteht aber in Erlösung und Reinigung. Die Kunst ist
nicht eine bloße Nachahmung der Natur, sie löst aus der Natur,
betont und bildet, was sich zur höheren Lebensäußerung eignet,
gibt der Idee die Form und entwickelt die Bildkraft.
Darum ist das Schöne nach Plotin dasjenige, was wir in uns auf-
nehmen als Bestandteil unseres eigenen tiefsten Wesens; das Häß-
liche, was wir als fremd, mit unserem höheren Selbst unverträglich
abstoßen. *
Und ferner: Das Schöne ist vollendete Bildung, das Formlose ist
häßlich, unbefriedigend, weil wir fühlen, daß es keine Erfüllung mit
sich bringt und ewig in ungelösten Dissonanzen klingt.
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