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mit hohlen Redensarten, Scheinheilige mit dem Strick um den Leib
und wie verkommene Ritter ihre Seelenrüstung hatten rostig und
unsauber werden lassen.
Es ist gewiß der Beachtung wert, daß der Einzelne, der größere
Verband, endlich ein ganzes Volk nur zum Genuß wahren Ansehens,
zu echtem Prestige gelangen, sofern und in dem Maß als ästhetische
Tugend vorhanden ist und sichtbar auftritt.
Furcht hat eine kurze Herrschaft.
Achtung und Sympathie sind für den Einzelnen und für ein ganzes
Volk auch praktisch erstrebenswerte Güter. Auf die Dauer lassen
sie sich weder durch technische Vollkommenheiten, noch irgend-
welche Tüchtigkeit oder Siege materieller Art gewinnen, sondern
einzig und allein durch jene Imponderabilien, die mit dem jeweiligen
ästhetischen Ideal Zusammenhängen.
Nichts verbindet so glücklich und fest wie gemeinschaftliches Schön-
heitsempfinden, nichts ist so kostbar als vornehme Gesinnung, denn
sie bildet das Bindeglied der verschiedensten Welten.
Daß alle Vornehmen zu ihrem Recht und zu dieser ihrer schönen
Pflicht gelangen, ist eine wichtige Staatsangelegenheit. Ihre Ver-
säumnis wie jede Verachtung der Schönheitswerte wird verhäng-
nisvoll.
Ein bedeutsames Wort sprach Goethe aus, als er den edlen Frauen
die Aufgabe zuerteilte, zu bestimmen, was sich ziemt, und Schiller
verbeugte sich ritterlich vor ihnen, als er ihnen das Reich der Sitte
als eigenstes Gebiet zuwies. Damit ist den Frauen philosophisches
und politisches Amt von hoher Wichtigkeit anvertraut und tiefste
Verantwortung im Weltgeschehen.
Ähnlich dachte der Ritter, als er sich dem Urteil der Frauen beugte,
so stark und kühn er sein mochte.
XIII
Erziehung durch die Minne zu veredeltem Leben, die Annahme,
daß irdische Minne, die sich verklärt, zur himmlischen Minne empor-
leitet, ist eine tiefe Schönheitslehre.
Bis jetzt scheint es nicht beachtet worden zu sein, wie sehr sich
ihr Grundgedanke dem mystischen Schönheitsglauben Platons nähert.
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