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ergötzt sich der menschliche Geist in dieser niederen Welt, bis daß
es ihm verstattet wird, mit hellerem Auge die göttliche Schönheit
zu schauen.
Ähnlich begnügt sich ein Wanderer vor einem herrlichen Palast,
Teil für Teil die Fassade zu bewundern. Sieht er dann den Herrn
des Hauses, der ungleich erhabener ist als die toten Steine, dann
richtet er sein ganzes Schauen und Denken auf diesen Einen.
So unterscheidet sich auch die Art, mit der wir aus den Wirkungen,
Werken und Gleichnissen die sichtbare Schönheit wahrnehmen, ehe
wir die Gegenwart der göttlichen genießen. Fast mit denselben
Worten ausgedrückt ist das Verhältnis des Ideal-Schönen zum Schönen
der Erfahrung bei Plotin*).
Den Weg, zu dieser Gottheit vorzudringen, sah Giordano Bruno
im aufrichtigen Bewundern aller Schönheit, die sinnlich wahrnehm-
bar ist.
Denn auch die sinnliche Schönheit, ist ein Strahl und Abglanz der
Form und geistigen Tätigkeit, eine Spur und Schatten des Geistes
und von ihr aus kann man sich zur Betrachtung und. zum Kultus
der göttlichen Schönheit und ihrer lichten Herrlichkeit erheben, so
daß von diesen sichtbaren Dingen aus das Herz zu jenen emporsteigt,
die — je vollkommener sie sind —, desto mehr sich von Sinnlichkeit
und Stoff entfernen.
Giordano wurde von seinen Zeitgenossen verkannt und erfuhr auch
bei den Nachfahren wenig Verständnis, da er einseitig, wie cs
noch jetzt in Italien geschieht, als Widersacher der Kirche und
Märtyrer ihrer Gewalt gefeiert wird. Der Philosoph war aber der
wahren Kirche nicht feind, er war wie jeder Gnostiker, eher ein
Erfüller als ein Gegner wahren Christentums. Er mußte wie jeder
Gnostiker, das ist Wissender, einen vermessenen Autoritätsglauben,
eine zeitliche Staatsgewalt bekämpfen, die sich erkühnt, des Menschen
Heiligstes und Eigenstes, seine Persönlichkeit, anzugreifen. Denn
nur seine Persönlichkeit kann in mystisch nahe Beziehung zu dem
erlösenden Schönheitsbegriff treten.
*) Schiller schreibt in seinem 16. Brief zur ästhetischen Erziehung des
Menschen: Die Schönheit in der Idee ist also ewig nur eine unteilbar einzige,
weil es nur ein einziges Gleichgewicht geben kann.

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