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keit beansprucht, vereinigen, verketten, vermählen sich in holder
Eintracht. Sie überschreien sich nicht, keine unterdrückt die andere.
Ehrfurcht und Notwendigkeit führen sie zusammen in Arbeit und
Spiel. Eines bedingt und unterstützt das andere und eben darin
liegt die Schönheit.
Keine Nachahmungen von Geräuschen, keine Vergewaltigung von
Tönen zeigt Bach, sondern wahre Inventionen, wie er einige seiner
Musikstücke nennt, Schöpfungen, die vom Schöpfergeist die Gesetze
der Schönheit empfangen und sie mit Wonne offenbaren.
Mystische Träume sind es wohl, aber keine ungesunden Extasen,
welche die Betroffenen erschöpft und ernüchtert zurücklassen.
Die Schönheitsträume des feinen Denkers wie des großen Musikers
sind nicht hochmütig, sie bedenken liebevoll das Kleinste, wollen
sich in jedes Herz senken, in jedem Heim Eingang finden und
nicht einsamen Rausch gewähren, noch Massenbeifall suchen, sondern
auffordern zu dem Einklang, der bescheidenen Freude edler Haus-
musik.
Bach kann vielleicht heute noch allein verstehen lehren, was Leibniz
mit der Theodicee gemeint hat, wie der erste durchgeführte
Schönheitstraum, der Eingang in die deutsche Philosophie fand, die
Welt als Meisterfuge des Schöpfers ausdenken wollte, sie aus dem
Geist der Musik und Mathematik zu erklären versuchte.
Denn wie in wohltemperierter Fuge jede einzelne Note wichtig,
notwendig und klar ist, stets in ihrem Verhältnis zu allen übrigen
Noten mathematisch richtig sein muß, so steht es um die Harmonie
des Weltganzen. Von Anfang an ist es zur Harmonie bestimmt/'’)
Daher ist Schönheit Gesetz und die Gesetzlichkeit, der die Schönheit
selbst ewig unterworfen bleibt, gebietet Maß und Ziel, ethische
Mathematik, Verhältnisse von Stärke und Größe, die unanfecht-
bar sind.
Leibniz, der als Universalgenie in allem Wissen der Zeit wohl-
beraten war — ähnlich wie es Lionardo da Vinci ein Jahrhundert
vor ihm gewesen —, ein Gelehrter, vielleicht sogar Literat in un-
serem Sinn stand an bevorzugter Stelle im politischen Leben, ver-
*) Leibniz nennt dies harmonie predestinee.
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