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Lessing beurteilt sogar die Blumen- und Landschaftsmalerei als
niedere Kunstgattung, weil sie Dinge darstellt, die selbst kein Ideal
haben. Daher könne auch kein Ideal hineingelegt werden*).
Fest und treu glaubte Lessing an ein ewig Schönes, das Zeit und
Mode überdauert und wollte dies unschätzbare Gut nicht verschleu-
dert wissen, Mendelssohn bestärkte ihn darin.
Es war ein Verdienst der damals entstandenen deutschen Populär-
philosophie, daß sie bewußt an diesem Grundsatz festhielt und ihn
verständlich, ja selbstverständlich zu machen suchte.
Denn sobald das Schöne nicht mehr untrügliche Richtschnur für das
Gefühl ist, versickert dieses im Sand wie ein erstickter Strom oder
staut sich zu gefährlichem Sumpf, ästhetische Gefühlsschwelgerei,
Tändelei, Verrohung des Geschmacks führen in Irrgärten oder
Wildnis.
Es ist daher niemals gleichgültig, wenn Apollons Schwesternchor
trunken und schwankend zerfließt, jagt und stürmt.
Die Ähnlichkeiten zwischen den Modeirrtümern aus der Zeit eines
Lessing und jenen aus unseren Tagen ließen sich mit Belustigung ver-
folgen, ihre tiefste Ursache ist ja auch genau dieselbe geblieben.
Dichter genug, um die Gewalt des Schönen zu fühlen, Kritiker
genug, die Notwendigkeit klar ausgesprochener Gesetze und be-
stimmter Schranken einzusehen, gab sich Lessing mehr als irgend
ein Philosoph vor ihm Rechenschaft, welchen Schaden ein übel be-
ratenes Werk anzurichten vermöge.
Echte Kunstwerke sollen den Anschauungskreis des Einzelnen er-
weitern , die Gefühlswelt zu erhabener Größe, Ruhe und Würde
steigern, bessern in des Wortes tiefster, innigster Bedeutung, fern
von landläufiger Moral und öder Tendenzmacherei. Dies ist das
vornehmste Gesetz des Kunstschönen.
Daß Lessing aus Bewunderung für die Schönheitsgesetze des Alter-
tums durchaus keinen Stillstand in der Kunst wünschte, beweist
unter anderem der Satz aus einem Brief an Mendelssohn: Ich glaube,
der Schöpfer mußte alles, was er schuf, fähig machen, vollkommener
zu werden, wenn es in der Vollkommenheit, in welcher er es er-
*) Ähnlich schätzte im 19. Jahrhundert Ruskin die niederländische Malerei ein.
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