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Sich nach dieser Gesetzlichkeit zu richten ist die Aufgabe des Tugend-
haften , des rechtschaffenen Mannes, der ohne Vorteil, ohne Lust,
ohne gereizt oder gerührt zu werden das Rechte tut mit so fester
Überzeugung, daß er seine Gerechtigkeit als das Gerechte an sich
erkennt.
Wie mit erleuchteter Stirne, von der mystische Strahlen ausgehen,
ein neuer Moses, steigt Kant von der einsamen Höhe seines Denkens
zur gedankenlosen Menge herab. Er schleppt mit Ehrfurcht eine
schwere Gesetzestafel, auf der in Flammenschrift das Befehlswort
Du sollst immer wiederkehrt.
Aber unten im Tal haben sie ein goldenes Kalb errichtet, umtanzen
es mit blöden, berauschten Sprüngen und, obwohl sie den Götzen
selbst gemacht aus den Arm- und Fußspangen ihrer Weiber, er-
nennen sie ihn mit Überzeugung zu ihrem Nationalgott, ihrem
Schlachtengott.
XXXVI
Unter den Hörern Kants saß Herder während seiner Königsberger
Studienjahre, aber seine Begeisterung galt Rousseau.
Mich selbst will ich suchen,
Daß ich mich endlich finde,
Und dann mich nie verliere . . .
Komm sei mein Führer, Rousseau!
schloß er damals ein Gedicht. Auf Herders Geist, wie auf so
manche Geister, die höher standen als der seinige, wirkte Rousseaus
leidenschaftliches Verfechten der Lieblingsideen seiner Zeit nur
förderlich.
Von den Betrachtungen des Genfer Philosophen über Staat und
Gesellschaft angeregt, unternahm Herder neuartige Versuche über das
Wesen von Poesie, Religion und Geschichte. Einzeln suchte er deren
ewige Schönheitswerte auf. Die Forschungen über das Wesen der
Sprache, wie er sie begann, hatten in Italien, England und Frankreich
bereits starke Vertreter, nun führte Herder diese Studien zum ersten-
mal klar ausgesprochen dem Gebiet der Schönheit zu.
Er begreift allmählich, daß die Sprache die erste und wesentlichste
Kunst des Menschen, aller Menschen sei. Die Notwendigkeit dieser
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