Kunstübung, die sofort Gesetzen der Schönheit untertan ist, deckt
den geheimen Zusammenhang der Kunst mit der Menschwerdung
vorsichtig auf.
Durch die Sprache entdeckt die Seele sich selbst und hält Zwiesprache
mit sich selbst.
Herder trachtete die Dichtung vom Privaterbteil einiger weniger Ge-
bildeter (wie Goethe sagt) zur allgemeinen Welt- und Völkergabe
zu machen. Ihm war die Poesie eine naturnotwendige Muttersprache
des menschlichen Geistes, der Keim und Kern allen Glaubens und
Wissens. Er versichert: Auf dem täuschenden und trostlosen Wege
einer politischen und Kriegsgeschichte sehen wir selten mehr von
einem Volk, als wie es sich regieren und töten ließ. . . . Von der
vergleichenden Poesie lernen wir, wie es dachte, was es wünschte,
wie es sich erfreute, von seinen Lehrern und Neigungen geführt
wurde. . . . Der Poesie Grund und Boden ist das Land der Seelen,
ein Ideal der Glückseligkeit, der Schönheit weckt sie auf!*) Ferner
schreibt er:
Ob aber der Geist der Poesie durch alle Schwingungen, in denen
er sich bisher nationen- und zeitenweise periodisch bemüht hat, nicht
dahin strebe, immer mehr und mehr, wie jede Grobheit des Gefühls,
so auch jeden falschen Schmuck abzuwerfen und den Mittelpunkt
aller menschlichen Bemühungen zu suchen, nämlich die echte, ganze,
moralische Natur des Menschen, Philosophie des Lebens ? Dieses
wird nur durch die Vergleichung der Zeiten sehr glaubhaft. Auch
in den Zeiten des größten Ungeschmacks können wir uns nach der
großen Regel der Natur sagen: tendimus in naturam, in naturam
tendimus. Nach dem Lande der Einfalt, der Wahrheit und Sitte
geht unser Weg.
Die Entdeckung, daß die Sprache ursprünglich Poesie und jede
primitive Ausdrucksweise naiv aber wertvoll bildnerisch sei, führt
Herder dazu, das Volkslied von der Verachtung der Gebildeten zu
befreien. Von der Schönheit des Volkslieds gelangt er folgerichtig
zur Schönheit der Volksseele und zur Ahnung, daß diese ursprüng-
lich von der Sehnsucht nach Schönheit geleitet sein könne. Er
'■) Herder, Kritische Wälder.
156
den geheimen Zusammenhang der Kunst mit der Menschwerdung
vorsichtig auf.
Durch die Sprache entdeckt die Seele sich selbst und hält Zwiesprache
mit sich selbst.
Herder trachtete die Dichtung vom Privaterbteil einiger weniger Ge-
bildeter (wie Goethe sagt) zur allgemeinen Welt- und Völkergabe
zu machen. Ihm war die Poesie eine naturnotwendige Muttersprache
des menschlichen Geistes, der Keim und Kern allen Glaubens und
Wissens. Er versichert: Auf dem täuschenden und trostlosen Wege
einer politischen und Kriegsgeschichte sehen wir selten mehr von
einem Volk, als wie es sich regieren und töten ließ. . . . Von der
vergleichenden Poesie lernen wir, wie es dachte, was es wünschte,
wie es sich erfreute, von seinen Lehrern und Neigungen geführt
wurde. . . . Der Poesie Grund und Boden ist das Land der Seelen,
ein Ideal der Glückseligkeit, der Schönheit weckt sie auf!*) Ferner
schreibt er:
Ob aber der Geist der Poesie durch alle Schwingungen, in denen
er sich bisher nationen- und zeitenweise periodisch bemüht hat, nicht
dahin strebe, immer mehr und mehr, wie jede Grobheit des Gefühls,
so auch jeden falschen Schmuck abzuwerfen und den Mittelpunkt
aller menschlichen Bemühungen zu suchen, nämlich die echte, ganze,
moralische Natur des Menschen, Philosophie des Lebens ? Dieses
wird nur durch die Vergleichung der Zeiten sehr glaubhaft. Auch
in den Zeiten des größten Ungeschmacks können wir uns nach der
großen Regel der Natur sagen: tendimus in naturam, in naturam
tendimus. Nach dem Lande der Einfalt, der Wahrheit und Sitte
geht unser Weg.
Die Entdeckung, daß die Sprache ursprünglich Poesie und jede
primitive Ausdrucksweise naiv aber wertvoll bildnerisch sei, führt
Herder dazu, das Volkslied von der Verachtung der Gebildeten zu
befreien. Von der Schönheit des Volkslieds gelangt er folgerichtig
zur Schönheit der Volksseele und zur Ahnung, daß diese ursprüng-
lich von der Sehnsucht nach Schönheit geleitet sein könne. Er
'■) Herder, Kritische Wälder.
156