Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
sieht das Volk, alle Völker mit dem warmen Blickergreifen der
Humanität und selbst bei den fremdesten, bei den wenig oder
ganz anders entwickelten findet er, auch wo der Begriff der Moral
noch fehlt, ästhetisches Gefühl.
Dieses ist also das eigentliche, gemeinschaftliche Band der Mensch-
heit, die erste und unentbehrliche Voraussetzung zu höherem Menschen-
tum und das, worauf jede Humanität gebaut und gegründet wer-
den muß.
Auf eigenem Weg fortschreitend, geriet Herder mit seinem Königs-
berger Lehrer bis zur offenen Fehde in Widerspruch. In den Ideen
Kants, wie sie oft mißverstanden die Jugend erfüllten, sah er die
größte Gefahr für sein eigenes Streben. Er suchte den wirklichen
Menschen aller Zonen mittels seiner Sprachkenntnisse zu ergründen,
und in der Tat ist ausgedehnte Sprachkenntnis das beste Mittel,
psychologische Kenntnisse zu gewinnen.
Herder graute vor dem konstruierten Menschen des Königsbergers,
weil er nicht mit Unrecht bei einseitig kleinlicher Nachfolge immer
schlimmere Schematisierung, Verknöcherung und Versteinerung
fürchtete.
Obwohl er mit Goethe das Gefühl für die Natur teilte und sich
mit Schiller in der Sehnsucht nach dem sittlich Schönen und der
Abscheu vor dem Gemeinen berührte, hielt er sie zu ausgesprochen
für Kantianer, um innere Beziehungen für seine wahlverschmähende
Menschenliebe zu gewinnen. Für den christlichen Humanitätsgedanken
glaubte er nur bei seinem Freund, dem Mystiker Hamann, Ver-
ständnis zu finden.
Der Magus des Nordens erschloß ihm außer dem Kreis Ossians
und Shakespeares auch jene Weltanschauung, nach der sich nicht
alles Lebendige durch Begriffe erschöpfen läßt, alles Geistige aber
aus dem Ganzen der Menschennatur verstehen. Der mystische Zug,
der wie eine Vorahnung der Romantik durch Herders Werke weht,
stammt von Hamann, der inmitten der Aufklärungszeit das geheim-
nisvoll Göttliche an Dingen und Menschen hervorhob.
Aus diesen verschieden gearteten Quellen schöpfte Herder Gedanken
zur Beförderung der Humanität. Zum Ausdruck kamen sie haupt-
sächlich in den Briefen, die er in verschiedenen Zeitschriften, be-
157
 
Annotationen