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an dieser bedeutenden Schwelle steht, den Palmzweig in der Hand.
Die besten unter den Schwarmgeistern der Revolution sind rührend
in ihrem Glauben an die Schönheit der Humanität.
Allerdings hatte die Aufklärung hauptsächlich das Vermögen der
Urteilskraft, des Verstandes bewundert und vergöttlicht, aber es
zeigte sich bald ein Übergang, namentlich in Deutschland. Besonders
wird nun ein Mystisches im Menschen verehrt, sein Genie, sein
Daemonium, und Goethe sammelt auch diese Geistesrichtung im
gewaltigen Becken seines Erkenntniswillens.
Als die Menschengläubigkeit zu höchst gediehen war, ersetzte sie
die einstige Gottgläubigkeit trotz des ausgesprochenen Deismus,
dem die besten Denker huldigten. Diese ideale Menschengläubig-
keit sollte eine jähe Erschütterung erfahren.
Es geschah durch den Ausgang der Revolution.
Was trotz aller Greuel an Gutem und Gerechtem in dieser Zeit
entstanden war, konnte man damals noch nicht würdigend über-
sehen , man stand erschüttert vor dem ungeheueren Bankerott der
Ideale. Die Häßlichkeit und Niedrigkeit der Menschen schäumte
aus der Tiefe hervor und besudelte die reinen Tempel.
Ungefähr gleichzeitig wurde durch Erfahrungen auf naturwissen-
schaftlichem Gebiet auch der Glaube entkräftet, daß die Natur Alles
zum Besten eingerichtet habe.
An der Natur, am Menschen selbst verzweifelnd, überall da ent-
täuscht, wo er noch eben mit ästhetischer Andacht verehrt hatte,
mußte der Edle dem Weltschmerz, dem Pessimismus, der Ironie
verfallen. Nur die Herzensfestigkeit der Klassiker konnte diesem
Sturm der Seelen widerstehen.
Schiller suchte sich in den ästhetischen Briefen zu fassen, Goethe
kämpfte unausgesetzt und vollbrachte die Tat der Selbstrettung.
Wie der greise Faust ungebrochen im Gemüt trotz aller Erfahrungen,
die ihm die Nichtigkeit einst schön und anbetungswürdig gefundener
Dinge bewiesen, läßt er sein Schönheit erstrebendes Schöpfertum
nicht antasten von der Verzweiflung.
Es war eine schicksalsschwere Stunde für den Roman der menschlichen
Seele, als den deutschen Klassikern die Aufgabe zufiel, das Evangelium
der Schönheit zu hüten und mit heiligem Ernst neu zu lehren.
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