die ein Lehrer höchster Sittlichkeit künden muß. In diesem Sinn
hat Schiller Kant überwunden und die Welt aufgefordert, mit ihm
die Lehre einseitiger Pflicht zu überwinden.
Besser als der weiseste Gelehrte versteht der weise Dichter, daß
die Pflicht nicht eins und allein ist. Verschiedene, scheinbar gleich
ehrwürdige Pflichten können miteinander streiten und nur die Schön-
heit gibt Bescheid, welche vor der anderen Gehorsam heischt oder
ob sich alle versöhnen lassen.
Der geheime Drang, vor dem richterlichen Amt der Schönheit
zu bestehen, ist das allgemeinste, untrüglichste der seelischen
Gesetze.
Im Grunde wollen wir leider gar nicht unsere Fehler verbessern.
Das wirklich Imperative in unserem Wesen besteht darin, dieselben
zu beschönigen, sie zu Idealen zu schminken, um uns vor uns selbst
und vor anderen damit zu schmeicheln, daß, was wir tun, wohl-
getan sei.
Darum haben manche Philosophen irgend einen Nationalfehler oder
den Hang, den jede Nationaltugend aufweist, zum Fehler zu werden,
gefällig idealisierend und beschönigend in ihr System aufgenommen
und zu einem gültigen Lebensatz erhoben. Auch böse Idole kann
man mit Pracht und Kunst schmücken.
Nicht umsonst hat Schiller in Leidenstagen und -Nächten mit Kant
gerungen, fast wie Jakob mit dem Engel. Er sieht ihn majestätisch
wie mit apokalyptischem Gespann über die Torheiten der Welt
daherfahren, aber er fällt dem gestrengen Lenker des Vernunft-
gespanns in die Zügel, als er die Schönheit in Gefahr sieht, ge-
kränkt zu werden.
Ähnlich wie Platon, wenn auch mit ganz anderen Worten, will sich
Kant ihrer erwehren, Glückseligkeit und Pflicht trennen, dem Kunst-
schönen den Rang im Tugendreigen verwehren. Aber er hat nichts
gegen freundschaftliche Entgegnung, sondern sehnt sie herbei zur
Vervollständigung seines Denkgebäudes, wie Platon freimütig bekannt
hatte, daß er dankbar gewesen wäre, wenn sich die Kunst vor dem
Richterstuhl der Pflicht voll verantwortet und verteidigt hätte.
Indem er Kant widerlegt, entspricht Schiller auch Platons Aufforde-
rung nach mehr denn zweitausend Jahren. So langsam werden die
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hat Schiller Kant überwunden und die Welt aufgefordert, mit ihm
die Lehre einseitiger Pflicht zu überwinden.
Besser als der weiseste Gelehrte versteht der weise Dichter, daß
die Pflicht nicht eins und allein ist. Verschiedene, scheinbar gleich
ehrwürdige Pflichten können miteinander streiten und nur die Schön-
heit gibt Bescheid, welche vor der anderen Gehorsam heischt oder
ob sich alle versöhnen lassen.
Der geheime Drang, vor dem richterlichen Amt der Schönheit
zu bestehen, ist das allgemeinste, untrüglichste der seelischen
Gesetze.
Im Grunde wollen wir leider gar nicht unsere Fehler verbessern.
Das wirklich Imperative in unserem Wesen besteht darin, dieselben
zu beschönigen, sie zu Idealen zu schminken, um uns vor uns selbst
und vor anderen damit zu schmeicheln, daß, was wir tun, wohl-
getan sei.
Darum haben manche Philosophen irgend einen Nationalfehler oder
den Hang, den jede Nationaltugend aufweist, zum Fehler zu werden,
gefällig idealisierend und beschönigend in ihr System aufgenommen
und zu einem gültigen Lebensatz erhoben. Auch böse Idole kann
man mit Pracht und Kunst schmücken.
Nicht umsonst hat Schiller in Leidenstagen und -Nächten mit Kant
gerungen, fast wie Jakob mit dem Engel. Er sieht ihn majestätisch
wie mit apokalyptischem Gespann über die Torheiten der Welt
daherfahren, aber er fällt dem gestrengen Lenker des Vernunft-
gespanns in die Zügel, als er die Schönheit in Gefahr sieht, ge-
kränkt zu werden.
Ähnlich wie Platon, wenn auch mit ganz anderen Worten, will sich
Kant ihrer erwehren, Glückseligkeit und Pflicht trennen, dem Kunst-
schönen den Rang im Tugendreigen verwehren. Aber er hat nichts
gegen freundschaftliche Entgegnung, sondern sehnt sie herbei zur
Vervollständigung seines Denkgebäudes, wie Platon freimütig bekannt
hatte, daß er dankbar gewesen wäre, wenn sich die Kunst vor dem
Richterstuhl der Pflicht voll verantwortet und verteidigt hätte.
Indem er Kant widerlegt, entspricht Schiller auch Platons Aufforde-
rung nach mehr denn zweitausend Jahren. So langsam werden die
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