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großen geistigen Kämpfe ausgetragen. Voll und bestimmt antwortet
er auf die über die Kunstschönheit unter so verschiedenen Zeit-
umständen einst aufgeworfene Frage, wie auf die Frage seiner Zeit-
genossen. Sie hat nicht aufgehört, eine brennende Frage zu sein,
seitdem sie unter Platon auf jungfräulichem philosophischem Boden
entstanden war.
Wenn Schillers Auseinandersetzungen in den verschiedenen ästheti-
schen Schriften auch möglichst kühl gehalten sind, als er es unter-
nimmt , die Entscheidung herbeizuführen, ein leidenschaftlicher
Glaube durchweht sie. Das Selbsterlebte gibt ihnen Saft und Kraft.
Eins mit ihnen ist Schillers Lebensbau, eins mit ihnen sind die
Hauptgestalten seiner Werke in Denken und Tun. Durch manche
Qual hindurch gelingt es ihm sogar, seine historischen Studien nicht
abseits von dem großen Gedanken zu lassen.
Mit welcher Versicherung begegnet er Platons und Kants strengem
Einwand?
Als Historiker überblickt er zunächst, was die Schönheit für das
Menschentum geleistet, erkennt sie als Mädchen aus der Fremde in
einfacher Hütte, als Priesterin an einfachem Altar, als Prinzessin
aus fernem Land mit einem Gefolge von Denkern und Künstlern.
Sie verklärt den rohen Kampf, lächelt dem Musiker, führt des Malers
Hand, des Handwerkers Werkzeug. Im Reich der Natur schwebt sie
um äußerliche sterbliche Schönheit, bedingt durch gewissen Regel-
zwang, durch feste Proportionen. Im Reich der Freiheit, dem ge-
lobten Land wahren Menschentums wird sie zur Anmut, das heißt
zur beweglichen Schönheit, die eigenes Verdienst ist und von außen
nicht zerstörbar. Der Ring der Notwendigkeit geht durch Tier und
Pflanze, ohne durch eine Person *) unterbrochen zu werden.
Schönheit in ihrer sich stets erneuernden, beweglichen Offenbarung
der Anmut schafft Freiheit, und nur diese macht den Menschen zum
individuellen Wesen, ehrwürdig als Schöpfer.
Er soll wie ein Sonnenkörper vom eigenen Licht glänzen.
So hatte Plotin vom Menschen Sonnenhaftigkeit verlangt, so hatte
Meister Eckehart stolz zugesagt, der Mensch müsse zum Gott werden

*) Person gleich Individualität.
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