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Schöne der Natur ist das Einzige, was wir von ihrer Güte wissen
können, das Schöne am Menschen beweist Menschentum und alles
Schöne, das wir nicht erfassen, nicht begreifen noch berechnen
können, aber dennoch wissend fühlen und freudig zu verehren im-
stande sind, enthält das zuhöchst Gute oder ist dasselbe, ist die
Göttlichkeit selbst, soweit unsere Organe derselben nahen dürfen.
Goethe sah mit stillem Lächeln zu, wenn ihn die kirchlich frommen
Freunde im metaphysischen Gespräch nicht für voll ansahen, er
fühlte fromm auf seine Art, getränkt von jener göttlichen Schöpfer-
kraft, die über das tägliche Sehen und Versehen hinaus nach Aus-
druck verlangt.
Sein Gefühl der Schönheit gegenüber ist voll heiliger Inbrunst, und
er schreibt dasselbe Gefühl jedem wahren Künstler zu. Rembrandt,
Rafael, Rubens kommen mir . . . wie wahre Heilige vor, die sich
Gott überall auf Schritt und Tritt, im Kämmerlein und auf dem
Felde gegenwärtig fühlen, und nicht die umständliche Pracht von
Tempeln und Opfern bedürfen, um ihn an ihre Herzen herbeizuzerren.
Ich setze da drei Meister zusammen, die man fast immer durch Berge
zu trennen pflegt, aber ich dürfte mich wohl getrauen, noch manche
Namen hinzusetzen und zu beweisen, daß sie alle in diesem wesent-
lichen Stück gleich waren.
Was erkennt Goethe als das wesentlichste Stück wahrer Kunst auf
allen ihren Gebieten?
Durch das Kunstwerk sollen wir verehren und uns selbst verehrungs-
würdig fühlen. Denn die Kunst muß dem Ganzen des Menschen,
seiner reichen Einheit, seiner einigen Mannigfaltigkeit entsprechen.
In einem Entzücken, das religiöser Extase gleichkommt, steht der
junge Goethe vor dem Straßburger Münster und ruft die Schönheit
an, die Mittlerin zwischen Gott und Menschen.
Fünfzig Jahre später verleugnete er durchaus nicht seine jugendliche
Begeisterung, sondern er freute sich als Greis der Erinnerung.
Noch tiefer und voller ist die fromme Glückseligkeit des reifen
Mannes, als er endlich die friedlich sichere Schönheitsoffenbarung
des klassischen Altertums anbeten darf. Im Anblick von Zeichnungen,
die ein Reisender von den Giebelstatuen des Parthenon nach Rom
brachte, schrieb er: Soviel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso
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