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gehoben und fortgerückt werden; seine eigenen Kräfte sind’s, die sich
im Kindestraum entfalten, im Jünglingsleben bearbeiten, bis er stark
und behend, wie der Löwe des Gebirges auseilt auf Raub. Prophetisch
scheint er hier von seiner eigenen Löwenkraft zu sprechen. Er will
unbehindert lieben, was er will, Lieb erfahren wo er will, sei es
noch so schmerzlich. Wer hat das Schöne der schönen Welt so
stürmisch und zugleich so innig zu lieben verstanden?
Das Kunstschöne wie das Naturschöne gehörte zu seinem Leben
unzertrennlich und er hatte die Macht, selbst zu beobachten, wie
beides wirkend und webend in ihm tätig war.
Er studierte jenes Wörterbuch von Bayle, der die ganze Bildungs-
geschichte des 18. Jahrhunderts mit eigenartigem Fleiß zusammen-
getragen und rationalistische, kühle Folgerungen daraus gezogen
hatte, doch auf sein Gemüt wirkte zündend Giordano Brunos Lehre.
Was der Künstler nicht geliebt hat, nicht liebt, soll er nicht schildern,
kann er nicht schildern, schrieb der Dichter des Götz, der für seinen
eigenen Beruf ein warmes, ganz von einer Empfindung volles Herz
verlangte.
Leidenschaftlich verteidigte der junge Goethe den Schönheitsglauben
des Mystikers gegen die Einwürfe und Sarkasmen Bayles. Was hier
dämmerte und sich allmählich zur Klarheit durchrang, erhielt viel
später den bleibenden Ausdruck in den von Plotins Gedanken be-
einflußten Versen (vergl. Seite 31).
Wär nicht das Auge sonnenhaft,
Die Sonne könnt es nie erblicken,
Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,
Wie könnt uns Göttliches entzücken.
Endlich tat Goethe dann aus innerstem Erleben den Ausspruch: Das
Schöne ist höher als das Gute, das Schöne schließt das Gute in sich.
Weil es das Gute enthält, muß es größer sein, das Umfassende muß
größer und weiter sein als das Umfaßte.
Nach dieser Überzeugung hielt sich Goethe selbst stets tapfer an
das Schöne.
Was es an Schönem hervorgebracht, bewies ihm die Güte eines
Volks, das Schöne einer Zeit einzig das Gute dieser Zeit. Das
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