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Auf dem Wege beglücken und dadurch beglückt werden, jeder
Hantierung, jeder Fertigkeit jeder Errungenschaft mit Sympathie zu
begegnen, das gehört zur Erziehung im Schönen und Guten. Die
Möglichkeit solch freier Entwicklung muß von der Gesellschaft und
vom Staatswesen gewährleistet sein.
Wohlgemerkt, es sind pädagogische Provinzen, die Goethe Wilhelm
Meister und dessen Sohn durchreisen läßt, kein zugesperrtes Haus wird
gezeigt, wo die Zöglinge gedrillt werden und nur in geschlossenem
Hof aufmarschieren. In möglichst weitgestreckten Grenzen haben sie
sich frei zu tummeln und zu rühren, von der Natur, auf Bergen und
in Tälern zu lernen, nie einsam, aber nie als Herde getrieben.
In freier Freundschaft sollen sie sich finden, wie es dem Jünglings-
alter ziemt, eifrig einander mitteilend, was sie sich mit Freude
praktisch aneignen und an die Praxis dürfen sie unbehindert ihre
jugendlichen Theorien knüpfen. Aus der Ferne freilich angeregt und
geleitet von ernsten, reifen, lieberfüllten Männern.
Wie die Phalanx in der altgriechischen Kampfweise aus den tüch-
tigsten und in Freundschaft festesten Jünglingen bestand, soll hier
eine geistige Phalanx gebildet werden, unüberwindlich durch die
einzelnen erlesenen Persönlichkeiten und durch die Freundschaft, die
sie bindet und zu nützlichem Wetteifer spornt.
Zu Goethes Zeit gab es noch keine Großstadt, die mit Polypenarmen
das Volk an sich zieht und aus dem Volk, das schön und stolz
sein könnte, den häßlichen Mob macht.
Es gab noch nicht den modernen Großstaat, der unablässig Drachen-
zähne sät, aus denen notwendig gewappnete Männer entsteigen, die
einander automatisch totschlagen müssen.
Aber von prophetischem Blick erleuchtet, arbeitet Goethe in seinem
freundlichen Utopien mit ästhetisch sozialen Leitsätzen diesem Un-
geheuer entgegen, dem künftigen Feind der besseren Menschheit.
Er wünscht eine Gemeinde zu erziehen von Männern, die stark und
glücklich genug sind, um das Recht der Persönlichkeit zu wahren.
Immer widerstandsfähiger gegen Frevel und Unsinn bilden sie sich
zu allgemeinem Segen aus.
Sicher in der Erkenntnis von Gut und Schön sollen sie aufwachsen,
die Menschenwürde unbedingt zu retten.

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