Das lehren die schönsten Lieder wie die seligsten Küsse. Darum
ist die Kunst pathetischer als die Natur. Die Natur ist Erfüllung,
die Kunst ist Sehnsucht und kann nichts anderes sein, denn die
Sympathie, die sie im Namen der Schönheit weckt, knüpft und bindet
ohne Ende*). Ihre Erkenntnis des Schönen ist keine kühlmessende
Zustimmung (approbatio), sondern ein warmes leidenschaftliches
Gefühl, das sich immer weiter entwickelt und verzweigt. Tiefster
Ernst und reizvolles Spiel zugleich und auch un jugement et un
sentiment enveloppes l’un dans l’autre, ein Urteil und ein Gefühl
unlösbar verbunden.
Das lebendige Wirken der großen Schönheitsgläubigen unter den
Romantikern, namentlich in England und Frankreich, hängt eng zu-
sammen mit dem Begriff der Sympathie, den der schottische Schön-
heitsbekenner ein Jahrhundert früher mutig der Auffassung seiner
Zeit entgegengesetzt. Viele empfanden plötzlich keine Zweifel mehr.
Es ist den höchsten Geistern nicht nur erlaubt, sondern geboten,
die Schönheit vor allem zu lieben, zu verehren und zu verkünden.
Bezeichnend für diese Gefühlsrichtung ist Lamartines priesterliche
Auffassung der dichterischen Sympathie: Pour tout peindre, il faut
tout sentir.
Sie gaben sich hin, jeder auf seine Art, Michelet prägt das tiefe
Wort: Alle Künste geben uns Mittel und Werkzeug, um zu lieben.
(Tous les arts sont des moyens d’aimer.) Die jungen Künstler, die
jungen Dichter feiern Brüderschaft, wie sie es noch kaum getan,
rührend einfach im Gegensatz zu seinem sonstigen Pathos erzählt
Victor Hugo davon.
Einige lenken ihre Sehnsucht nach alten Idealen zurück und sind
wie manche deutsche Romantiker mystisch katholisch, vor allem
Lamennais, de Maistre, Chateaubriand. Doch es vollzieht sich auch
hier manche Umwertung und Neuwertung bei diesen höchst leben-
digen Menschen.
Mit der ganzen Sturmflut seiner Wortmacht donnert der Lebendigste
*) L’art est plus pathetique que la nature. Le pathetique est signe de la
plus grande beaute. (Victor Cousin.)
L’art est le pressentiment des formes superieures qui dorment encore dans
le sein des choses actuelles. (Ed. Quinet.)
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ist die Kunst pathetischer als die Natur. Die Natur ist Erfüllung,
die Kunst ist Sehnsucht und kann nichts anderes sein, denn die
Sympathie, die sie im Namen der Schönheit weckt, knüpft und bindet
ohne Ende*). Ihre Erkenntnis des Schönen ist keine kühlmessende
Zustimmung (approbatio), sondern ein warmes leidenschaftliches
Gefühl, das sich immer weiter entwickelt und verzweigt. Tiefster
Ernst und reizvolles Spiel zugleich und auch un jugement et un
sentiment enveloppes l’un dans l’autre, ein Urteil und ein Gefühl
unlösbar verbunden.
Das lebendige Wirken der großen Schönheitsgläubigen unter den
Romantikern, namentlich in England und Frankreich, hängt eng zu-
sammen mit dem Begriff der Sympathie, den der schottische Schön-
heitsbekenner ein Jahrhundert früher mutig der Auffassung seiner
Zeit entgegengesetzt. Viele empfanden plötzlich keine Zweifel mehr.
Es ist den höchsten Geistern nicht nur erlaubt, sondern geboten,
die Schönheit vor allem zu lieben, zu verehren und zu verkünden.
Bezeichnend für diese Gefühlsrichtung ist Lamartines priesterliche
Auffassung der dichterischen Sympathie: Pour tout peindre, il faut
tout sentir.
Sie gaben sich hin, jeder auf seine Art, Michelet prägt das tiefe
Wort: Alle Künste geben uns Mittel und Werkzeug, um zu lieben.
(Tous les arts sont des moyens d’aimer.) Die jungen Künstler, die
jungen Dichter feiern Brüderschaft, wie sie es noch kaum getan,
rührend einfach im Gegensatz zu seinem sonstigen Pathos erzählt
Victor Hugo davon.
Einige lenken ihre Sehnsucht nach alten Idealen zurück und sind
wie manche deutsche Romantiker mystisch katholisch, vor allem
Lamennais, de Maistre, Chateaubriand. Doch es vollzieht sich auch
hier manche Umwertung und Neuwertung bei diesen höchst leben-
digen Menschen.
Mit der ganzen Sturmflut seiner Wortmacht donnert der Lebendigste
*) L’art est plus pathetique que la nature. Le pathetique est signe de la
plus grande beaute. (Victor Cousin.)
L’art est le pressentiment des formes superieures qui dorment encore dans
le sein des choses actuelles. (Ed. Quinet.)
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