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Maßlos erhoben, als ob er nicht e i n Schönheitskünder sondern der
einzige Schönheitskünder sei, maßlos angegriffen, als ob der Künstler,
der von der Barrikade aus den Philister bekämpfte, selbst ein
Philister geworden sei, vermochte Wagner, mit seiner leidenschaft-
lichen Überzeugung nachhaltig zu wirken, freilich nicht immer in
dem idealen Sinn, dem in seinen besten Stunden die Sehnsucht
aufrichtig gegolten.
Durch Kunst wollte Wagner das Volk emporheben und erziehen.
In der Schrift: Die Kunst und die Revolution nannte er den schönen
und starken Menschen das Ziel, das nur auf diesem Wege zu er-
reichen sei.
Eine bewußte Pflege nationaler Schönheitswerte soll aus dem Elend
der Gegenwart in ein neues Heroenzeitalter retten. Mit Schlegel
und Tieck, Arnim und Brentano teilt er die inbrünstige Liebe zur
Volkspoesie, denn jede edle Kunst beruht auf der Tätigkeit des
ganzen Volkes. Innerhalb der Gemeinschaft ragt der Künstler nur
empor durch gesteigertes Erleben und eine Kraft, die groß genug
ist, dieses gesteigerte Erleben schöpferisch auszulösen. Aber bei
dem wirklichen Inslebentreten des Kunstwerks, namentlich des Dra-
mas wirken im idealen Sinn alle Beteiligten mit, die Darsteller so-
wohl als das Publikum. Das Leben ist die unbewußte Notwendig-
keit, die Kunst die erkannte, schrieb Wagner im Kunstwerk der Zu-
kunft. Durch dieses Mitleiden, Mitfreuen und Mitschöpfersein erhebt
sich der Teilnehmer zu echter Menschenwürde.
Ohne tieferen Zusammenhang bleibt alle Vorliebe für die Kunst
flüchtig und äußerlich, ein Schößling ohne Erdreich.
Wagner verlangte, das Volk in einem Tempel zu sehen, aber er
wollte seine einzelnen Glieder durch das Verständnis für die Schön-
heit zu Individuen ausbilden.
An großen Eindrücken entfaltet sich der innere Mensch zu eigenster
Empfindungsfähigkeit, die sich draußen im Leben zu bewähren hat.
Zu diesem Selbstgestalten, Selbsterfassen führt die Musik. Denn
sie ist der Ausdruck des absoluten Menschen, des der Natur eben-
bürtig trotzenden Schöpfers. Aber zugleich bedeutet sie den un-
mittelbarsten Ausdruck innerer Gesetzmäßigkeit.
Die Rhythmen, nach denen das Kunstwerk dahinfließt, müssen die-
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