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Das soziale Gewissen verbietet durchaus nicht die ästhetischen Ge-
nüsse, sondern gerade diese Genüsse ermöglichen eine soziale Emp-
findung. Guyaus Betrachtungen finden in Max Nordau den bered-
samsten Vertreter, der ebenso den Grundsatz der sogenannten
Dekadenten und der vom sozialen Dasein hochmütig losgelösten
Künstler der Richtung l’art pour Tart verdammt. Ein Moderner
sprach stolz: Un komme qui s’est institue artiste, na plus le droit
de vivre comme les autres. Soll dies bedeuten, er habe das Recht
hochmütiger Vereinsamung und des Verzichtes auf allgemeine Pflich-
ten? Oder ist ihm vielmehr auferlegt, viel gemeinsamer mit anderen
zu leben, innerlich wenn nicht äußerlich und nur dadurch er selbst
zu sein, weil er die anderen mitbedeutet?
Die uralte Definition Schönheit ist, was gefällt, wird von Lipps im
Sinn Reids zu erweitern gesucht. Schön ist, was Sympathie erweckt
und das Gefühl der Sympathie, das Bewußtsein der geheimen Be-
ziehungen zwischen uns und dem Universum belebt. Wir bewundern
das, worin wir das Beste von uns selbst wiederfinden·
Bergson schränkt diese Erkenntnis auf die Auswahl der besonders
fein konstituierten Geschöpfe ein, fügt aber bei, daß diese durch
ihren Bericht anderen wieder ein Reflexerlebnis ermöglichen.
Benedetto Croce, der neapolitanische Gelehrte, nimmt Ausgang von
den Ansichten seines Landsmannes Vico. Ihm wird die Kunst zum
erweiterten Sprachvermögen des Menschen.
Wie niedriger Stehende nur einen kleineren Sprachschatz besitzen
und weniger nach Ausdruck suchen, weil sie wenig auszudrücken
haben, erweitern die Höhergearteten ihren Sprachschatz und suchen
sich außerdem in anderen Künsten auszudrücken, je besser, je reicher,
je mannigfaltiger, je mehr sie zu sagen haben.
Seine Zweiteilung· des Schönen ist ein Zurückgreifen auf jene Zweiteilung
in schön und erhaben (sinngefällig angenehm und seelenwohlgefällig), die
in der Theorie schon oft auftrat. Einen dem Longinus zugeschriebenen
Aufsatz über das Erhabene übersetzte Boileau. La Bruyere spricht von
sublime, Burke, Home, Mendelssohn, Lessing, Sulzer, Heydenreich denken
über den Unterschied nach, schließlich Kant und Schiller. Nach Jean Paul
ist Humor das umgekehrt Erhabene. Spätere deutsche Ästhetiker treten
zweifelnd heran. Neu ist Guyaus Ansicht, daß dieses Seelengefällige, das
Erhabene unbedingt in sozialer Sympathie münden müsse.
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