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LVII1

Zweifel und Schwanken bleibt keinem Schönheitsfreund erspart.
Er leidet unter dem überempfindlichen Zierbengel wie unter
dem Rohling, er muß an die eigene Brust schlagen ob manchen ver-
hängnisvollen Irrtums, da er praktisch immer wieder den falschen
Annahmen verfällt, denen auch die Theoretiker der verschieden-
sten Bekenntnisse verfielen, nämlich die Schönheit rein sinnlich
oder rein geistig zu erfassen und zu werten. Vollkommen läßt
sie sich nur mit der selbständigen Seelenneigung ergreifen, die das
geheimnisvolle Organ der Menschwerdung ist.
Wenn so wenige bis jetzt zum wahren Schönheitsglauben durch-
drangen, liegt es auch daran, daß mancher enttäuscht umkehrte,
als der Pfad, der sich lockend aufzutun schien, eng und schrecklich
wurde. Denn bequeme Glückseligkeit, wie sie der Philister
träumt, ist nicht zu gewinnen bei dem gewaltigen Aufstieg, den
die Schönheit verlangt. Sie kann Verzückungen geben, wie sie
der im Tal gebliebene nicht ahnt. Aber sicher sind ihre Schmer-
zen, denn die Metamorphose vom Tier zum Menschen, die von
ihr vollzogen sein muß, geschieht unter starken Wehen, und ihre
stolze sichere Gelassenheit kann nie erkauft noch ersonnen, son-
dern muß erlitten werden.
Wie es große Seelen stets geahnt und jede auf ihre Art auszu-
drücken bemüht war, das Schöne der äußeren Welt ist wertvoll,
aber nur als Mitteilung, als Bild, als Gleichnis. Je unvergänglicher,
nach menschlichem Ermessen, je unsterblicher dies Vergängliche aus-
gedrückt ist, desto wertvoller wird das Gleichnis. Daher stammt
die innere Unzufriedenheit der größten Künstler, ihr rastloses Weiter-
schaffenwollen. Sie können das Unzulängliche nicht zum Ereignis
machen, aber sie müssen es erstreben. Ihre rührende Freude, wenn
ihnen Lob und Anerkennung auch nur spät zuteil wird, ist nicht
eitle Selbstgefälligkeit, wie jene des selbstzufriedenen Virtuosen,
sondern die Rast der Genugtuung, daß sie ihr Teil nicht versäumten
im großen Tempeldienst, der alle Symbole der Kunst fordert.
Der Besitz innerer Schönheit läßt uns einzig und allein Besitz von
der äußeren ergreifen.

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