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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0281
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der schönen Tat und der dankbaren Träne erfreuen, nichts schlägt
mehr einen Ton in uns an, das Instrument, auf dem all dies
spielen sollte, ist stumm oder gibt nur mehr einen schrillen Laut
von sich, wie ein böses Lachen.
Mit der Unfähigkeit zu bewundern geht die Unfähigkeit zu lieben
Hand in Hand. Ebenso die Unfähigkeit zu begreifen. Oder viel-
mehr, wir können nicht mehr im weiten Sinn erfassen, nur mehr
im engsten kleinlichen Sinn.
Die Welt scheint, was sie ist, ein Grab. Das seidene, schillernde
Gewebe erweckt nichts als den Gedanken an die Raupe, die den
Faden spann, das freundliche Lächeln wird sogleich auf inter-
essierte Motive zurückgeführt, der große Eisesschauer der Nüchtern-
heit zieht durch die Welt. Tieferstehende Naturen suchen sich
in häßlichem Rausch aller Art zu erhitzen, höher stehende leiden
und gehen zu Grund.
Doch weithin wärmt und strahlt ein feuriger Geist, jugendlich bleibt
ein Gemüt, das mit immer neuem Enthusiasmus empfinden kann.
Ein solches Gemüt wirkt wohltätig ganz von selbst ohne besondere
sogenannte Wohltätigkeit im Menschheitsdienst. Denn nur ein
solches Gemüt kann mit Toleranz und mit Selbstvergessen die
Dinge betrachten und behandeln.
Die großen Fortschritte auch auf praktischem Gebiete sind,
wenn wir sie bis auf ihren eigentlichen Ursprung verfolgen, der
ästhetischen Gesinnung zu verdanken. Nur aus dieser Gesin-
nung heraus wird mit selbstloser Freude an irgend einem Werk
gearbeitet, das später, vielleicht viel später erst seine Früchte
trägt.
Größte Selbstlosigkeit erfordert die Wissenschaft; freudige Hin-
gabe, wie sie nur das Gefühl ästhetischer Würde, ästhetischen
Ehrgeizes bringt.
Die Schönheit verwandelt.
Wo Tugend und Pflicht heikel oder stolz tun oder achtlos vor-
beigehen, bückt sie sich, sucht, hofft und heilt. Sie verklärt den
irren Glanz des Fiebers und des Wahnsinns. Unwiderstehlich geht
eine Saat von Lächeln auf, wo sie schreitet.
Jedoch sie lächelt auch überlegen und wegwerfend über Sophismen
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