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und scheinbare Klugheiten und Gerechtigkeiten. Man fürchtet sie,
weil sie keine Beschämung erspart. Sie ist das Barmherzigste, aber
auch das Unbarmherzigste, was es gibt. Wo sie nicht mehr barm-
herzig sein kann, ist die Grenze erlaubten Mitleids.
Die Schönheit kann so viel verzeihen, weil sie verwandelt. Aus
Verwesung wachsen Blumen und heiliges Brot. Aus unsinnigen,
widerlichen Greueln, aus dem Krieg steigt das heilige Brot der
Freundschaft, und die Schönheit webt hehre Gesänge, macht Stro-
phen aus tierischem Gebrüll, kraft ihrer Macht, Böses zu Gutem
zu wandeln, wo nur irgend ein Ansatz vorhanden. Sie entdeckt
die Größe des Unscheinbaren und die Kleinheit aufgeblasener
Wichtigtuerei, lehrt die Geschichte, den verdienten Olivenkranz
frisch zu halten und zerstört den Obelisken, den die Eitelkeit
türmte. (Schiller.)
Bitter feind ist die Schönheit der Selbstgerechtigkeit, die fast in
jeder Verachtung liegt. Darum ist sie nicht süß und sanft, wie
man meint. Vor ihr gibt es kein Entfliehen, alles durchdringt ihr
scharfer Blick, und wir können vor ihrem Angesicht weder prahlen
noch uns irgend rechtfertigen. Etliche versuchen sie zu leugnen,
weil sie vor ihrem Gericht nicht bestehen und sich demselben
nicht stellen wollen.
Die von Menschen erdachten Götter sind bestechlich und zu be-
trügen, wie die Menschen selbst. Die Schönheit ist nicht von
Menschen erdacht, sie kann weder bestochen noch betrogen wer-
den und sie leuchtet schließlich durch, wo unser Unglück oder
unsere Schuld sie lange verfinstert haben.
In volkstümlich zarter Weise hat Grillparzer den Ewigkeitsgehalt
der platonischen Offenbarung dem ungelehrten Gemüt nahezu-
bringen gesucht:
Weißt du auch, was die Schönheit sei?
Sieh zu, ob ich’s verfehle,
Ein Gleichnis beut die Liebe mir,
Sie geht vom Körper aus gleich ihr
Und endet in der Seele.
Wie der Minnesänger seiner Herrin hat ein Zeitgenosse Grillparzers,
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