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gepeitscht zu zerschellen, tut es not, daß die Schar der Schönheits-
gläubigen, ihrem Glauben treu, nicht vereinzelt, sondern fest an-
einandergeseilt in der Gefahrzone einer den anderen hält, um den
Sturm zu überdauern. Lieber wäre es Manchem, die Augen zu
schließen und zu sterben. Aber er darf nicht, er gehört zur Kette.
Auch hier steht einer für alle und wenn einer bleibt, um zu be-
kennen, ist das Bekenntnis gerettet.
Ob auch die apokalyptische bestia triumphans noch so frohlockend
die Erde bedrückt, ihr jüngster Tag muß kommen, wenn das Be-
kenntnis lebendig bleibt. Das Allerweichste auf Erden überwindet
das Härteste (Lao-Tse).
Dies uralte Geheimniswort gehört zur Schönheitsreligion, die im Kern
aller Religionen wohnt und jeden Wechsel überdauert.
In ihr offenbart sich das untilgbare religiöse Empfinden, das von
der Erde bis zum Himmel reicht.
Nicht Angst vor dem Leben, sondern Mut zum Leben — und auch
zum Sterben, soll die Schönheitsliebe lehren. Nicht egoistische
Verzärtelung, sondern edle Liebe des Besten und Lebensfähigsten
in uns selbst und eine Liebe zum Besten und Lebensfähigsten in
anderen, die dieses Beste zu immer neuem Werden bringt. Und
auch die Macht, das Häßliche in uns und außer uns herzhaft zu
hassen.
Wahre ästhetische Andacht soll zwar die harten Herzen erweichen —
aber auch verweichlichte Gemüter stählen und wappnen mit kost-
barer Rüstung, soll die Selbstbewußten Ehrfurcht lehren, aber auch
dem Verzagten helfen, damit er nicht am eigenen Wert verzweifle.
Den Einsamen überzeugt sie, daß nichts uns aus dem großen Zu-
sammenhang der Dinge reißen kann, dem Zerstreuten deutet sie
die großen Lehren der Einsamkeit. Und in der menschlichen Kunst
ist schön, was der Sehnsucht nach dem Vollkommenen den zeit-
gemäßen Ausdruck gibt.
LIX
Dies ist keine Kunstgeschichte und die allerjüngsten Kunstsekten
können daher nicht eingehende Betrachtung finden, wenn sie auch
behaupten, ein neues Kunstschönes zum Ausdruck zu bringen. Es
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