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DER KAMPF MIT DEM WESTEN

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dieser Kunst so offenbar wie hier, die unausgeglichene Spannung zwischen zwei
Weltanschauungen so deutlich. Die Realität der vollplastisch durchgebildeten
Körper widerstreitet der Raumlosigkeit des Hintergrundes. Deshalb sind die
Figuren im Übereinander über die Fläche verteilt, aber sie scheinen nicht zu
schweben, denn noch lassen die Stellungen der Füße die verkürzte Bodenfläche
westlicher Raumbildung ahnen. Aber der Ostgeist zwingt zur Vermeidung aller
sinnlichenTäuschung, ja er zwingt den real denkendenWesten selbst zur Besinnung,
indem die unverkürzte Körperlichkeit statt des Augenscheines reliefmäßiger
Abstufung gesetzt wird.
Wenn hier Greifbares und Abstraktes in mehr oder weniger scharfem Kon-
traste gegeneinandersteht, so erkennen wir aber auch, daß jene illusionistische
Täuschung selbst, wie sie aus dem vorchristlichen Hellenismus in die christliche
Kunst übergegangen ist, und vor allem in der Malerei zur impressionistischen
Auflösung des Körperlichen und zur illusionistischen Wiedergabe des Luftraumes
geführt hatte, bereits ein Ausgleichsprodukt westlichen und östlichen Geistes ist,
nur daß hier die Extreme ineinandergedrungen und verschmolzen sind; denn die
klassische Antike kannte nur den tastbaren Körperraum in seiner organischen
Durchbildung, dieWelt war ihre Materie, der Osten aber bannte das Körperliche
immer in die Fläche, in überorganische Gesetzmäßigkeit. Im Aufeinanderstoßen
beider Prinzipien ergab sich bereits vor dem Christentum der Ausgleich: Das
Körperliche, in die Fläche übertragen, verlor seine Realität, wurde zum Fleck,
die Fläche aber, der abstrakte Grund, gewann räumliche Bedeutung. Wie einer-
seits das Nebeneinander gemalter Flecken nicht mehr den Körper selbst, sondern
nur den Schein desselben wiedergibt, so löst es anderseits dieFläche in das Hinter-
einander des Luftraumes auf. So war bereits der künstlerische Boden vorbereitet,
auf dem das Christentum bauen konnte, als es sich westlicher Zivilisation anpassen
mußte, indem jener „Impressionismus" als Auflösung des Realen dem Schicksal
entsprach, welches es dem Westen bereitete, zugleich aber in der Veräußerlichung
innerer Gebundenheit jenem Schicksal, daß es selbst vom Westen erlitt.
In dem Maße als der Zerfall der materiellen Kultur im Westen vor sich ging
wurde auch das Bedürfnis nach neuer Verinnerlichung rege. Aber man glaubte,
durch die Zertrümmerung der alten, leeren Gefäße und Lebensformen sei bereits
die Verinnerlichung selbst erreicht. Diese zertrümmerten Gefäße fand das aus
dem Osten kommende Christentum vor und ihrer mußte es sich zunächst bedienen,
bevor es die ihm entsprechenden Formen vom Osten her durchsetzte oder sich
 
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