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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0118
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Deutung

naiser Teppiche im Palazzo Doria in Rom (Abb. 201) illustrieren zur Genüge, wie selt-
sam das Leben des Helden die Anschauungen des burgundischen Adels widerspiegelt.

Karl der Kühne ist der eifrigste Leser der seinem absolutistischen Selbstgefühle in
hohem Maße schmeichelnden Alexanderdichtungen. Der Chronist Philipp Wielant
berichtet von dem letzten männlichen Sproß des Hauses Burgund: „II estoit rude et dur
en telles matieres et ne prennoit plaisir qu'en histoires romaines et es faictz de Jule
Cesar, de Pompee, de Hannibal, d'Alexandre le Grand et de telz aultres grands et
haultz hommes, lesquelz il vouloit ensuyre et contrefaire" (-41).

Von sonstigen Motiven, die in Wirkteppichen festgehalten wurden, sind in der
Hauptsache die Geschichten des Aeneas, Casars und Pompejus, die Eroberung Thebens
und das Leben des Augustus zu nennen.

Das aus dem Ende des 12. Jahrhunderts stammende Aeneaslied ist eine der wenigen
Dichtungen, die sich einigermaßen an das antike Vorbild hält (42); die Konzessionen
an den Zeitgeschmack wirken erträglich. Das Motiv ist mehrfach in französischen,
deutschen und italienischen Versionen behandelt worden.

Wesentlich beliebter wie die Aeneassage sind die auf Cäsar und seinen Rivalen Pom-
pejus bezüglichen Historien. Den Grundstein zu dem römischen Legendenkreise legt die
„Histoire ancienne jusqu'ä Cösar", die um 1225 eine mustergültige französische Fassung
erhält und etwa 25 Jahre später in den KFait des Romains, compilös ensemble de
Salluste, Suötone et Lucain" als höfisch-ritterliche Dichtung erscheint. Um 1446 über-
setzt Jehan le Begue „De primo bello punico" des Leonard Bruni d'Arezzo; der in
den „Histoires romaines", oder wie der ausführliche Titel lautet, in den „Histoires
romaines contenant neuf livres de la premiere döcade de Tite-Live" (1454) des Jean
Mansel ein glückliches Gegenstück findet. Namentlich die letzte Arbeit erfreut sich
einer außerordentlichen Beliebtheit. Ein von Loyset Liödet in Hesdin im Auftrage
Philipps des Guten illuminiertes Exemplar hat sich in der Pariser Arsenalbibliothek
erhalten. Es diente in der Hauptsache als Leitfaden für die bekannten Cäsarteppiche
im Berner historischen Museum.

Ludwig, Graf von Saint Pol und Luxemburg, ein eifriger Sammler illuminierter
Manuskripte und reicher Wandbehänge, — der Konfiskationsbericht vom Jahre 1475
erwähnt u. a. eine reiche Cäsarfolge — steht in engster Fühlung mit den führenden
Literaten des burgundischen Hofes. Verschiedene der hervorragendsten Schriftsteller
und Ubersetzer, in erster Linie Jehan Mielot, sind in seinem Dienste tätig. 1465 er-
weitert Meister Jehan den römischen Sagenkreis durch eine Ubersetzung des Romuleon
von Roberto della Porta, der in ausführlichen Schilderungen die Gründung der Sieben-
hügelstadt durch Aeneas und die Schicksale des römischen Reiches bis Konstantin den
Großen behandelt. Der Einfluß der Arbeit läßt sich mehrfach in W andteppichfolgen
nachweisen.

Die Cyrusteppiche (43) gehen zum Teil auf die „Traittö des faictz et haultes prouesses
de Cyrus", die der Graf von Lucena 1470 für Karl den Kühnen verfaßt, zurück. Schon
seltener dient in frühen Folgen der „Roman de Thebes", der die Geschichte des
Eteokles und Polyneikes in höfisch-ritterlicher Form erzählt, als Leitfaden. Der „Titus
Livius", aus dem Atelier des Dino Rapondi, die „Antiquit^s judaiques" nach Flavius
Josephus — verschiedene Teppiche der Vengeance de N. S. im New-Yorker Metro-
politanmuseum -und in der Sammlung Raoul Heilbronner schildern die schauerlichsten
Szenen an Hand dieser Quelle (Abb. 212—214) — und die französische Übersetzung des
„De casibus virorum et mulierum illustrium" von Laurent de Premierfait werden des
öfteren für reiche Bildteppichreihen benutzt.

Neben Wandteppichen, die Ritterromane alten Schlages und Motive aus der antiken
Geschichte verwerten, finden wir zahlreiche Wirkereien, die zeitgenössische Ereignisse
wiedergeben. Eine Art Ubergang bilden die Wandbehänge, die sich mit den späten
Kreuzzugshistorien und Episoden aus der Geschichte des zyprischen Königshauses be-
fassen. So behandelt der im Inventar Ludwigs I. von Anjou (1364) erwähnte Teppich,
„Les fiancailles de la fille au roy d'Ermenie", die Vermählung Balduins, des Grafen

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