Deutung
9 Heldinnen zugesellt werden. Der Grundgedanke, die Recken der heidnischen,
jüdischen und christlichen Vorzeit in Einzelgestalten zu kristallisieren, geht voraus-
sichtlich bis in das 13. Jahrhundert zurück; wahrscheinlich handelt es sich um einen
Ausläufer oder eine Parallele zu den bekannten 12 Pairs Kaiser Karls. Die Auswirkung
der Idee, die noch im 17. Säkulum als Leitfaden für reiche Wirkereien dient, erfolgt
in Anlehnung an die Literatur des 15. Jahrhunderts.
Die eingehendere Erörterung des Motivs erübrigt sich. Eine umfassende Literatur, in
erster Linie die Schrift des Monsignore X. Barbier de Montault (38), erläutert zur Ge-
nüge die Gestalten der neun Helden. Es handelt sich in der Regel um: Josua, David
und Judas Makkabäus aus der jüdischen; Hektor, Alexander und Cäsar aus der heid-
nischen, Artus, Kaiser Karl und Gottfried von Bouillon aus der christlichen Welt.
Jeder Held führt ein bestimmtes Wappenschild, so David die Harfe, Hektor den
sitzenden Löwen mit der Hellebarde in den Pranken, Cäsar den doppelköpfigen Reichs-
adler, Artus drei goldene Kronen usw. Der bei geschriebene Name oder die erläuternde
Legende erleichtert die Deutung. Die Wappenzeichen wechseln mitunter, so führt
Alexander der Große außer dem steigenden Löwen den Drachen, das Roß, den Wolf,
den Widder oder die Siegesgöttin als Abzeichen. Sowohl die Manufakturen von Arras,
Tournai und Brüssel, die französischen Ateliers zu Paris, Felletin und Aubusson; als
auch die deutschen und schweizerischen Wirkereibetriebe haben vielfach Folgen mit
den neun Helden hervorgebracht, deren künstlerische und ikonographische Bewertung
bei der Besprechung der Einzelbetriebe erfolgt.
Wie sehr die Idee nicht nur in höfischen Kreisen, sondern auch im Volke bekannt
und beliebt war, zeigen zur Genüge die Figuren des Kartenspiels. Kaiser Karl ist
Herzkönig; Cäsar entspricht dem Carreau-, David dem Pique- und Alexander dem
Treffkönig; Hektor ist Carreaujunge (39). Bisweilen tritt als zehnter Held der franzö-
sische Nationalheros Bertrand du Guesclin (de Charquin) hinzu; er trägt in seinem
Schilde das Wappen seines Hauses. So häufig die Folge der neun oder zehn Helden
vorkommt, so selten ist das Gegenstück, die neun Heldinnen.
Die vornehmsten der wehrhaften Schar sind Amazonen und Skythenköniginnen, im
übrigen sind die Namen ziemlich wahllos dem trojanischen Sagenkreise entnommen.
Außer Penthesilea — die Kathedrale zu Angers besitzt ein Fragment mit der Gestalt
der Heldin auf Verdürengrund — finden wir Deyphile, Synope, Argentine, Thamaris,
Hippolyta, Teucra, Menalipe, Semiramis und Lampheto. Ähnlich wie du Guesclin
wird bisweilen die Jungfrau von Orleans mit unter die Heldinnen gerechnet.
In den gleichen Ideenkreis gehören die Teppiche mit den zwölf Pairs Karls des
Großen: der Erzbischof von Reims, die Bischöfe von Noyon, Beauvais, Laon, Langres
und Chälons, die Herzöge von Burgund, von der Normandie und Aquitanien, sowie
schließlich die Grafen von Flandern, Champagne und Toulouse.
Nicht ganz so umfangreich wie der trojanische Zyklus ist die Geschichte Alexanders
des Großen, die in vielfachen Versionen im 15. Jahrhundert die veralteten „Gestes du
roy Charlemaigne" zu verdrängen beginnt. Der mazedonische Held wird in dem
Alexanderroman Wauquelins zum «seigneur de France et de toutes les marches ad-
jacentes"; er verkörpert das strahlende Bild des mit allen ritterlichen Tugenden aus-
gestatteten Herrschers. Es fehlt naturgemäß nicht an literarischen Erzeugnissen, die
ein Verwandtschaftsverhältnis der burgundischen Herzöge mit Florismond, dem an-
geblichen Großvater Alexanders, zu konstruieren suchen. Neben zahlreichen franzö-
sischen Fassungen stellte in den Städten Flanderns die „Historie des Bijbels", in Deutsch-
land die bekannte Version des Pfaffen Lambrecht fast zwei Jahrhunderte hindurch
die beliebteste Dichtung dar.
Die Alexanderliteratur, in erster Linie der 1448 von Jean Wauquelin verfaßte uLivre
des conquestes et faits d'Alexandre le Graut", die «Vengeance d'Alexandre" und der
phantastische „Perceforest" ist so oft Gegenstand ausführlicher Erörterung gewesen, daß
weitere Erläuterungen an dieser Stelle überflüssig erscheinen (40). Die beiden Tour-
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9 Heldinnen zugesellt werden. Der Grundgedanke, die Recken der heidnischen,
jüdischen und christlichen Vorzeit in Einzelgestalten zu kristallisieren, geht voraus-
sichtlich bis in das 13. Jahrhundert zurück; wahrscheinlich handelt es sich um einen
Ausläufer oder eine Parallele zu den bekannten 12 Pairs Kaiser Karls. Die Auswirkung
der Idee, die noch im 17. Säkulum als Leitfaden für reiche Wirkereien dient, erfolgt
in Anlehnung an die Literatur des 15. Jahrhunderts.
Die eingehendere Erörterung des Motivs erübrigt sich. Eine umfassende Literatur, in
erster Linie die Schrift des Monsignore X. Barbier de Montault (38), erläutert zur Ge-
nüge die Gestalten der neun Helden. Es handelt sich in der Regel um: Josua, David
und Judas Makkabäus aus der jüdischen; Hektor, Alexander und Cäsar aus der heid-
nischen, Artus, Kaiser Karl und Gottfried von Bouillon aus der christlichen Welt.
Jeder Held führt ein bestimmtes Wappenschild, so David die Harfe, Hektor den
sitzenden Löwen mit der Hellebarde in den Pranken, Cäsar den doppelköpfigen Reichs-
adler, Artus drei goldene Kronen usw. Der bei geschriebene Name oder die erläuternde
Legende erleichtert die Deutung. Die Wappenzeichen wechseln mitunter, so führt
Alexander der Große außer dem steigenden Löwen den Drachen, das Roß, den Wolf,
den Widder oder die Siegesgöttin als Abzeichen. Sowohl die Manufakturen von Arras,
Tournai und Brüssel, die französischen Ateliers zu Paris, Felletin und Aubusson; als
auch die deutschen und schweizerischen Wirkereibetriebe haben vielfach Folgen mit
den neun Helden hervorgebracht, deren künstlerische und ikonographische Bewertung
bei der Besprechung der Einzelbetriebe erfolgt.
Wie sehr die Idee nicht nur in höfischen Kreisen, sondern auch im Volke bekannt
und beliebt war, zeigen zur Genüge die Figuren des Kartenspiels. Kaiser Karl ist
Herzkönig; Cäsar entspricht dem Carreau-, David dem Pique- und Alexander dem
Treffkönig; Hektor ist Carreaujunge (39). Bisweilen tritt als zehnter Held der franzö-
sische Nationalheros Bertrand du Guesclin (de Charquin) hinzu; er trägt in seinem
Schilde das Wappen seines Hauses. So häufig die Folge der neun oder zehn Helden
vorkommt, so selten ist das Gegenstück, die neun Heldinnen.
Die vornehmsten der wehrhaften Schar sind Amazonen und Skythenköniginnen, im
übrigen sind die Namen ziemlich wahllos dem trojanischen Sagenkreise entnommen.
Außer Penthesilea — die Kathedrale zu Angers besitzt ein Fragment mit der Gestalt
der Heldin auf Verdürengrund — finden wir Deyphile, Synope, Argentine, Thamaris,
Hippolyta, Teucra, Menalipe, Semiramis und Lampheto. Ähnlich wie du Guesclin
wird bisweilen die Jungfrau von Orleans mit unter die Heldinnen gerechnet.
In den gleichen Ideenkreis gehören die Teppiche mit den zwölf Pairs Karls des
Großen: der Erzbischof von Reims, die Bischöfe von Noyon, Beauvais, Laon, Langres
und Chälons, die Herzöge von Burgund, von der Normandie und Aquitanien, sowie
schließlich die Grafen von Flandern, Champagne und Toulouse.
Nicht ganz so umfangreich wie der trojanische Zyklus ist die Geschichte Alexanders
des Großen, die in vielfachen Versionen im 15. Jahrhundert die veralteten „Gestes du
roy Charlemaigne" zu verdrängen beginnt. Der mazedonische Held wird in dem
Alexanderroman Wauquelins zum «seigneur de France et de toutes les marches ad-
jacentes"; er verkörpert das strahlende Bild des mit allen ritterlichen Tugenden aus-
gestatteten Herrschers. Es fehlt naturgemäß nicht an literarischen Erzeugnissen, die
ein Verwandtschaftsverhältnis der burgundischen Herzöge mit Florismond, dem an-
geblichen Großvater Alexanders, zu konstruieren suchen. Neben zahlreichen franzö-
sischen Fassungen stellte in den Städten Flanderns die „Historie des Bijbels", in Deutsch-
land die bekannte Version des Pfaffen Lambrecht fast zwei Jahrhunderte hindurch
die beliebteste Dichtung dar.
Die Alexanderliteratur, in erster Linie der 1448 von Jean Wauquelin verfaßte uLivre
des conquestes et faits d'Alexandre le Graut", die «Vengeance d'Alexandre" und der
phantastische „Perceforest" ist so oft Gegenstand ausführlicher Erörterung gewesen, daß
weitere Erläuterungen an dieser Stelle überflüssig erscheinen (40). Die beiden Tour-
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