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Bistum Tournai.

Tournai.

Die Bildteppichwirkerei in Tournai geht, ähnlich wie in Arras oder Valenciennes,
bis in das 13. Jahrhundert und früher zurück; sie ist kein durch fremde Einflüsse dem
germanischen und französischen Volkstum aufgepfropftes Reis, sie ist uraltes Erbe, das
unter günstigen Bedingungen zu üppiger Blüte gedeiht.

Wenn der «tapisseur" Philippron de Bruges oder „Ii tapissieres" Jakemes Campions
im letzten Jahrzehnte des 13. Säkulums zufälligerweise in urkundlichen Belegen genannt
werden, so ist dies durchaus kein Zeichen dafür, daß in früherer Zeit kein Teppich-
wirker vorhanden war. Wäre die Kunst ausgangs des 13. Jahrhunderts etwas so
unerhört Neues gewesen, so würde die Erwähnung dieser beiden dann hochbedeut-
samen Personen in anderer Form erfolgt sem.

Der Grund, der den Wirker oder überhaupt ein Mitglied des ehrsamen Handwerkes
— anders wird die edle Kunst der Bildteppichwirkerei nicht gewertet nur in
seltenen Fällen persönlich hervortreten läßt, liegt — sofern es sich nicht um Straf-
verfolgungen handelt, die natürlich die betreffende Malefizperson benennen — eines-
teils in der Anonymität, die letzten Endes in der mittelalterlichen Glaubensauffassung
wurzelt, andernteils in den sozialwirtschaftlichen Verhältnissen, die alle Macht der
Kaufmannsgilde, der kleinen, geldkräftigen Oberschicht, in die Hände spielen. Wras
für Arras gilt, läßt sich auch für Tournai, zum mindesten in den gleichen Zeitspannen,
aufrecht erhalten.

Wie in dem Hauptorte des Artois die Bildteppichwirkerei sich im wesentlichen auf
Gebrauchsgegenstände einfacherer Art beschränken muß, so lange nicht fürstlicher
Prunk, verbunden mit weiser Sparpolitik, die Schatzkammern und Truhen mit köst-
lichen, golddurchwirkten Tapeten zu füllen beginnt, so lange wartet auch Tournai auf
den belebenden Quell, der den Händler auf den neuen gewinnversprechenden Faktor
aufmerksam macht, der die alten, zünftig behaglichen Wirkerateliers in Bewegung
setzt, sie zu den höchsten Leistungen anspornt.

Die zu Beginn des 14 Säkulums erwähnten gewirkten Kissen mit den „oisiaus",
den „lionciaux rouges et gaunes" oder den «hommez sauvages", den erotischen
wilden Männern und Frauen, die an manchen gewagten Mummenschanz erinnern,
finden wir in allen Manufakturen der Zeit, die sich an rein handwerklichem Betriebe
Genüge sein lassen. Es hat wenig Zweck, die Namen dieser Wirker, die Soil in
seinen „Tapisseries de Tournai" (J) gewissenhaft verzeichnet, zu bringen. Sie waren
tüchtige Handwerker, nichts weiter; der große Zug ihrer Fachgenossen in Arras ist
noch zu missen. Der Vollständigkeit halber seien einige Kissendekorationen, die von
den üblichen Wrappenmotiven abweichen, angeführt. Wir finden gekrönte Drachen,
Rosen und Blumen der verschiedensten Art, Bäume mit Vögeln, Affen — den neuesten
Modetieren —, Hirschen, Löwen, sowie schließlich kleine figürliche Szenen; geschätzt
werden neben den wilden Männern in erster Linie die Mohren, richtiger gesagt, die
Sarazenen, durch die Zeitläufte genügend bekannt und interessant, um auf den Kauf-
lustigen eine gewisse Anziehungskraft auszuüben.
 
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