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Grafschaft Artois.

A r r a s.

Se tu parles d'art de peintrie,
D'historiens d'enlumineurs,
D'entailleurs par grant maistrie,
En fnst-il oncques de meilleurs?
Va veoir Arras ou ailleurs
L'ouvrage de tapisserie;
Puis laisse parier les railleurs.
De l'ancienne pleterie.

(Martin Lefranc, Le Champions des Dames.)

Die Uranfänge der Wirkereiraanufakturen des ehemaligen Hauptortes des Artois
gehen weit über das Jahr 1313, die Zeit der frühesten urkundlichen Erwähnung, zu-
rück. Die in der ersten Hälfte des 14 Jahrhunderts bezeugten Teppiche besitzen
bereits einen derartigen Grad künstlerischer und technischer Vollendung, daß alte
Überlieferung Vorbedingung ist. Es erscheint ausgeschlossen, daß die für Arras charak-
teristischen riesigen Figurenteppiche von ausländischen Vorbildern so stark angeregt
wurden, daß sich eine Industrie im Laufe von rund 50 Jahren entwickelte, die eine
Unzahl Arbeiter in Lohn und Brot hielt und eine Organisation — sowohl kaufmännisch,
wie auch rein handwerklich — voraussetzte, die nur das Ergebnis einer langen Ent-
wicklung sein konnte. Vergegenwärtigen wir uns die Art der Erzeugung und den
Weitervertrieb der Bildwirkereien von Arras.

Die Politik des französischen Königs, Philipps des Schönen, bricht in der Schlacht
von Courtrai an dem Widerstande der flandrischen Arbeitermassen, die zum ersten
Male als Machtfaktor in die Erscheinung treten, zusammen. Die Grenze Flanderns
rückt erheblich nach Süden; Arras, Lille, Douai gehen verloren und gelangen in den
Bannkreis der großen Industriezentren Flanderns und Brabants. Frankreich spielt
politisch und wirtschaftlich für Arras zeitweilig eine Rolle zweiten Ranges; der Haupt-
ort des Artois wird in starkem Maße von den Beziehungen zu England und der Hanse
abhängig.

Die Handelsverbindungen und die Lösung der neuerwachten sozialen Ideen be-
stimmen die Richtlinien der Industrie der Stadt. Die Brügger Mette (1302) zeigt mit
erschreckender Deutlichkeit, daß die große Masse der gewerbetätigen Bevölkerung,
die Weber und die mit ihnen in engster Verbindung stehenden Handwerker, die Tuch-
scherer, Appreteure, Falzer, Walker und Färber, nicht länger willens sind, als ver-
achtete Lohnarbeiter im Dienste kapitalkräftiger Bürger zu fronen. Die erbitterten
Kämpfe, die das 14 Jahrhundert beherrschen, zielen darauf hin, den Einfluß der
Patrizier und der mit ihnen zusammengehenden Kaufleute und Rentner zu brechen.
Das rasche Wachstum der Städte Flanderns verlangt folgerichtig die Pflege des Aus-
landhandels. Der heimische Boden vermag, nach der damaligen Art wirtschaftlicher
Aufschließung, die Menschenmassen nicht zu ernähren. Jeder politische oder industrielle
Rückschlag macht hunderte von Lohnarbeitern brotlos, die bettelnd und hungernd

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