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Die Technik des Wandteppichs.

Der hochlitzige Stuhl.

Das Konstruktionsprinzip ist von den ältesten Zeiten bis in unsere Tage im wesent-
lichen das gleiche gebheben. Auf viereckigem Rahmen spannt sich die Kette. Alle
Verbesserungen und Zutaten ergaben sich als logische Folgerungen, abhängig von der
Breite des zu wirkenden Teppichs. Die vorliegende Abhandlung bezweckt nicht,
eine Ubersicht der Entwicklung des Bildwirkergezeuges zu geben. Band IV meiner
„Wandteppiche", der die Geschichte der orientalischen Behänge bringt, beschäftigt
sich eingehender mit dieser Frage.

Maßgebend ist für uns lediglich der Aufbau der Stühle, wie sie in den spanischen
Niederlanden, in Frankreich und Deutschland im Gebrauche waren. Klare Werk-
zeichnungen der Gezeuge aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert haben sich nicht
erhalten (1). Die vornehmste Quelle für unsere Betrachtungen stellen die Stiche aus
Diderots Encyclopödie ou Dictionnaire raisonne des sciences, des arts et des metiers
dar (2). Die Tafeln sind dem Abschnitt «Tapisserie de Hautelisse" beigegeben, sie
mögen in den siebziger Jahren des 18. Säkulums, in der Spätzeit der Bildwirkerei,
entstanden sein. Als wesentlichste Ergänzungen dienen u. a. frühere Inventarien, ferner
der Dictionnaire universel de commerce von Jacques Savary vom Jahre 1750 und
P. N. Sprengeis Handwerke und Künste von 1776. Die bisherigen literarischen Er-
örterungen über das Wesen der Bildwirkertechnik, auch die der bekannten französi-
schen Kunsthistoriker, sind unvollständig, zum Teil von zweifelhaftem Wert. Auch die
neueren englischen Handbücher behandeln den Stoff in nur unzureichender Weise (3).
Eine kurze Sonderbearbeitung brachte in der letzten Zeit Dr. Georg Fraunberger(4),
der das Thema klarer und bestimmter anfaßte, ohne es zu erschöpfen.

Die genaue Kenntnis der verschiedenen Gezeuge und der an ihnen geübten
Technik ist insofern für uns von außerordentlicher Bedeutung, als sie einesteils die
Entstehung des Wandteppichs an und für sich klarlegt, andernteils Aufschluß gibt
über die Eigenart des Wirk Verfahrens, das sich in der mannigfaltigsten Form in Ge-
stalt der Schraffen, Abarbeitungen, Spaltwirkungen und dergleichen mehr äußert.
Verbesserungen, die um die Wende des 18. oder zu Beginn des 19. Säkulums vor-
genommen wurden, finden nur insoweit Berücksichtigung, als sie zum Verständnis
der Grundfragen unbedingt erforderlich sind; das gleiche gilt von den technischen
Vorarbeiten, dem Bespülen der Flieten und dem Aufbäumen der Kette.

Handelte es sich um kleinere Wandteppiche, etwa in der Art der langen, schmalen
Rückenlaken, so genügte ein einfacher Rahmen mit beweglichem Kett- und Waren-
baum; ein Kreuzholz diente als Dreh Vorrichtung. Wir finden die Wiedergabe eines
derartigen primitiven Stuhls als Fabrikmarke in der Bordüre eines Passionsbehanges,
der zu Ende des 15. Jahrhunderts in einem Bamberger Frauenkloster entstand (5).
Eine Nonne sitzt vor der Kette; die rechte Hand führt die Fliete (Abb. 8, Fig. 5) zurück
und beendet so den Einschlag, die linke teilt das Fach. Die stehende Dominikanerin
trägt den Spulenkasten; die Operation, die sie mit der linken Hand ausführt, ist nicht
klar erkennbar, augenscheinlich hält sie den Kreuzstab.

Nach dem gleichen Grundsatze bauen sich die großen Stühle auf; die vermehrte Zahl
der Kettfäden bedingt die Einrichtung des Litzenfaches, die gewaltige Spannung die
Schaffung besonderer Vorrichtungen.

I Göbel, Wandteppiche.

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