Deutung
talische oder süditalienische Einflüsse zurück (72). Die beturbanten Jäger in dem einen
Hardwicke Hall-Teppich lassen an ähnliche Reminiszenzen denken, möglicherweise be-
fanden sich auch Orientalen in dem Jagdgefolge des Fürsten, dem die Folge ihre Ent-
stehung verdankt,
Den Leitfaden der prächtigen Reihe gab im wesentlichen der «Livre de chasse" ab;
inwieweit die Falkenliteratur, in der Art des „Ghatrif und Moamin", oder das noch
bekanntere Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. „de arte venandi cum avibus" mitgesprochen
haben, läßt sich schwer entscheiden (73).
Der Autor des «Li vre de chasse" ist kein geringerer als Gaston Phoebus von Navarra,
Graf von Foix und Herr von Bearn, eine der eigenartigsten Gestalten des 15. Jahr-
hunderts. Tapfer, gewandt, grausam, vor keinem Verbrechen zurückschreckend, ver-
bringt der gelehrte Jäger, von Bracken, Schweißhunden und zahmen Leoparden um-
geben, seine Tage auf Schloß Orthez. Gaston Phoebus verficht die Parforcejagd als
die einzig ritterliche Art des Weidwerkes; er stellt sich in diesem Punkte in bewußten
Gegensatz zu «Li Ihres du roi Modus et de la reine Racio qui parle des deduiz et de
pestilance (1328)", in dem es noch als vornehme Jagdweise gilt, das Schwarzwild in
Netzen zu fangen. Die linke Hälfte des einen Hardwicke Hall-Teppichs illustriert das
neue Prinzip, die rechte Seite bringt eine Bärenjad.
Das Werk Gastons — zwischen 1387 und 1391 entstanden — ist naturgemäß keine
völlig originelle Schöpfung, er bedient sich in ausgiebigem Maße des Roi Modus und
des von dem gelehrten Kaplan Johann II. von Frankreich, Gace de la Bigne (Buigne),
im Londoner Tower geschriebenen «Deduit des chiens et des oiseaux". Allen Werken
gemeinsam ist der stark moralisierende Zug, der selbst die profansten Dinge des mensch-
lichen Lebens mit Glaubenssätzen zu verquicken sucht, der mit mystischem Mantel
Spiel- und Jagdleidenschaft deckt, ihr den Geleitbrief für die ewige Seligkeit zu Füßen
legt. Meidet doch der Jäger die schlimmste Sünde, den Müßiggang «l'oysivete, de
quoy tous maulx viennent". Ein Weidmann, der nach den Regeln des Jagdbuches
Tage und Nächte verbringt, verrichtet nicht minder verdienstliche Werke wie der Geist-
liche oder der Landmann, der seinen Acker bestellt. Schon der fromme Gace vertritt
den Standpunkt, ein Jäger, der alle weidmännischen Gesetze halte, könne nicht von
dem Herrn verworfen werden; am Ende seiner Tage Ril s'en aille tout droit en paradis".
Die Jagdliteratur des 15. Säkulums bleibt in ihrer seltsamen Verquickung morali-
sierender Gedankengänge mit rein praktischen Erwägungen nicht ohne Einflüsse auf
das Gebiet der Bildwirkerei. Ein Teppich im Besitze des Herzogs von Arenberg mit
der Darstellung des Wettstreites zwischen König Modus und Herrin Ratio veranschaulicht
prächtig, wie die damalige vornehme W elt sich die Austragung jagdlich-moralisierender
Fragen dachte. Die Handlung illustriert in abgewandelt-allegorischer Form den be-
rühmten Schiedsspruch Johann IL, Grafen von Tancarville (f 1382), des elegantesten
Jägers seiner Zeit, der nach langen Verhandlungen den alten Streit zwischen Hund
und Falke durch einen diplomatischen Bescheid aus der Welt schafft. Klarer noch
als ttLi livres du roi Modus et de la reine Ratio", der sich im zweiten Teile auf rein
abstraktem Gebiete bewegt, von der Rechtfertigung Satans, dem Streite der Tugenden
und Laster und der Rache Gottes spricht, die Folgeerscheinungen des bretonischen
Krieges und die verschiedenartigsten zeitgenössischen Ereignisse heranzieht, behandelt
Gace de la Bigne den Tancarvilleschen Spruch.
Er entwickelt zunächst die Tugenden des Hundes, lobt in erster Linie seine Treue
und führt als leuchtendes Beispiel den Hund von Macaire an. Des öfteren wird
später diese hervorstechende Eigenschaft als selbständiger Vorwurf benutzt, es sei nur
an die verschiedenen Rückenlaken mit der Geschichte des Hundes von Montargis er-
innert. Ein weiterer Grund, dem Weidwerk den Vorzug zu geben, ist die größere
Zweckmäßigkeit und Ergötzlichkeit; die Schilderung der Hirsch- und Saujagd dient
als Illustration. Der Schiedsspruch spricht sich letzten Endes mit kluger Liebenswürdig-
keit dahin aus, der Falko sei zwar edler als der Hund, das Vergnügen, das die Hunde
dem Jäger bereiten, jedoch andauernder und nützlicher.
85
talische oder süditalienische Einflüsse zurück (72). Die beturbanten Jäger in dem einen
Hardwicke Hall-Teppich lassen an ähnliche Reminiszenzen denken, möglicherweise be-
fanden sich auch Orientalen in dem Jagdgefolge des Fürsten, dem die Folge ihre Ent-
stehung verdankt,
Den Leitfaden der prächtigen Reihe gab im wesentlichen der «Livre de chasse" ab;
inwieweit die Falkenliteratur, in der Art des „Ghatrif und Moamin", oder das noch
bekanntere Falkenbuch Kaiser Friedrichs II. „de arte venandi cum avibus" mitgesprochen
haben, läßt sich schwer entscheiden (73).
Der Autor des «Li vre de chasse" ist kein geringerer als Gaston Phoebus von Navarra,
Graf von Foix und Herr von Bearn, eine der eigenartigsten Gestalten des 15. Jahr-
hunderts. Tapfer, gewandt, grausam, vor keinem Verbrechen zurückschreckend, ver-
bringt der gelehrte Jäger, von Bracken, Schweißhunden und zahmen Leoparden um-
geben, seine Tage auf Schloß Orthez. Gaston Phoebus verficht die Parforcejagd als
die einzig ritterliche Art des Weidwerkes; er stellt sich in diesem Punkte in bewußten
Gegensatz zu «Li Ihres du roi Modus et de la reine Racio qui parle des deduiz et de
pestilance (1328)", in dem es noch als vornehme Jagdweise gilt, das Schwarzwild in
Netzen zu fangen. Die linke Hälfte des einen Hardwicke Hall-Teppichs illustriert das
neue Prinzip, die rechte Seite bringt eine Bärenjad.
Das Werk Gastons — zwischen 1387 und 1391 entstanden — ist naturgemäß keine
völlig originelle Schöpfung, er bedient sich in ausgiebigem Maße des Roi Modus und
des von dem gelehrten Kaplan Johann II. von Frankreich, Gace de la Bigne (Buigne),
im Londoner Tower geschriebenen «Deduit des chiens et des oiseaux". Allen Werken
gemeinsam ist der stark moralisierende Zug, der selbst die profansten Dinge des mensch-
lichen Lebens mit Glaubenssätzen zu verquicken sucht, der mit mystischem Mantel
Spiel- und Jagdleidenschaft deckt, ihr den Geleitbrief für die ewige Seligkeit zu Füßen
legt. Meidet doch der Jäger die schlimmste Sünde, den Müßiggang «l'oysivete, de
quoy tous maulx viennent". Ein Weidmann, der nach den Regeln des Jagdbuches
Tage und Nächte verbringt, verrichtet nicht minder verdienstliche Werke wie der Geist-
liche oder der Landmann, der seinen Acker bestellt. Schon der fromme Gace vertritt
den Standpunkt, ein Jäger, der alle weidmännischen Gesetze halte, könne nicht von
dem Herrn verworfen werden; am Ende seiner Tage Ril s'en aille tout droit en paradis".
Die Jagdliteratur des 15. Säkulums bleibt in ihrer seltsamen Verquickung morali-
sierender Gedankengänge mit rein praktischen Erwägungen nicht ohne Einflüsse auf
das Gebiet der Bildwirkerei. Ein Teppich im Besitze des Herzogs von Arenberg mit
der Darstellung des Wettstreites zwischen König Modus und Herrin Ratio veranschaulicht
prächtig, wie die damalige vornehme W elt sich die Austragung jagdlich-moralisierender
Fragen dachte. Die Handlung illustriert in abgewandelt-allegorischer Form den be-
rühmten Schiedsspruch Johann IL, Grafen von Tancarville (f 1382), des elegantesten
Jägers seiner Zeit, der nach langen Verhandlungen den alten Streit zwischen Hund
und Falke durch einen diplomatischen Bescheid aus der Welt schafft. Klarer noch
als ttLi livres du roi Modus et de la reine Ratio", der sich im zweiten Teile auf rein
abstraktem Gebiete bewegt, von der Rechtfertigung Satans, dem Streite der Tugenden
und Laster und der Rache Gottes spricht, die Folgeerscheinungen des bretonischen
Krieges und die verschiedenartigsten zeitgenössischen Ereignisse heranzieht, behandelt
Gace de la Bigne den Tancarvilleschen Spruch.
Er entwickelt zunächst die Tugenden des Hundes, lobt in erster Linie seine Treue
und führt als leuchtendes Beispiel den Hund von Macaire an. Des öfteren wird
später diese hervorstechende Eigenschaft als selbständiger Vorwurf benutzt, es sei nur
an die verschiedenen Rückenlaken mit der Geschichte des Hundes von Montargis er-
innert. Ein weiterer Grund, dem Weidwerk den Vorzug zu geben, ist die größere
Zweckmäßigkeit und Ergötzlichkeit; die Schilderung der Hirsch- und Saujagd dient
als Illustration. Der Schiedsspruch spricht sich letzten Endes mit kluger Liebenswürdig-
keit dahin aus, der Falko sei zwar edler als der Hund, das Vergnügen, das die Hunde
dem Jäger bereiten, jedoch andauernder und nützlicher.
85