Deutung
auf, Jagdspieß und der Mond Dianens sind ihre Embleme; der Schmerz erscheint als
Alte, ein dunkles Gewand verhüllt das Haupt, die Rechte hält das Tränentuch, die
Linke führt die nach unten gekehrte Fackel; der Geiz schließlich schlägt mit dem
Geldsack nach dem erschreckten Amor. Namentlich das letztere Motiv ist von be-
sonderem Reize (Abb. 175). In einer Wechselstube hockt der Wucherer, die Brille auf
der Nase; Avaritia nimmt den Platz vor dem Zahltische ein, auf dem sich die Geld-
beutel häufen. Gott Amor drückt behutsam den unteren Flügel der doppelteiligen
Tür auf. Wütend kläfft der Köter; die Allegorie des Geizes faßt einen schweren
Geldsack, um ihn auf das Haupt des Unvorsichtigen, der es gewagt, ihrem Hörigen
zu nahen, niederzuschmettern. Im Hintergrunde öffnet sich eine weite Gartenanlage
mit ausgedehntem Wasserparterre. Die übrigen Teppiche der Folge — im spanischen
Staatsbesitz — beschränken sich zumeist darauf, den Liebesgott von einer ihm feind-
lich gesinnten allegorischen Gestalt verfolgen zu lassen. Keuschheit als Nymphe, in der
bekannten Pastorellentracht, — der Haaraufbau ist mit Perlenschnüren durchflochten —
sucht Amor zu erreichen; Schweißhunde verfolgen die Fährte. In einem anderen
Teppich kommt der kleine Gott weniger glimpflich fort; Saturn, die Zeit, beschneidet
ihm unbarmherzig mit der Sichel die Flügel. Venus springt aus dem von Tauben
gezogenen Wagen, ihrem mißhandelten Schützling beizustehen. Mäßigung, den Zaum
über dem rechten Arme, stellt sich ihr entgegen.
Eigenartig gibt sich die Darstellung eines weiteren Behanges. Mars — ein römischer
Krieger — rühmt sich seiner Macht. Frau Venus — die Perlenschnüre des Haarschmuckes
tragen ein brennendes Herz — scheint ihm zu widersprechen. Der kleine Amor, mit
drollig wütendem Gesicht, will mit seinem Bogen auf den Kriegsgott einhauen.
„Das Leben des Menschen" in der Auffassung des Barocks ähnelt in manchen Punkten
der Pelerinage de l'Homme oder dem Homme pecheur des endenden 15. Säkulums.
Die Folge — gleichfalls im königlich spanischen Besitz — beginnt mit einem kleineren
Teppich. Zw7ei Philosophen des Altertums thronen auf Wolken, in den Händen schw ere
Folianten, die Stirne ziert der Lorbeerkranz. Zu den Füßen der Unsterblichen liegt
überwunden die Zeit, ein geflügelter Greis. Im nächsten Teppich erscheint Homo,
umgeben von den Freuden des Lebens. Bacchus, der dicke Weingott, füllt in köstlich
getriebene Schale das goldene Naß. Frau Yenus winkt den Erdenpilger zu sich
heran, in der Rechten das brennende Herz. Auch Ceres fehlt nicht nach altem Spruche,
im Arme das Füllhorn. Abundantia in reichem Barockbrokat, auf dem Haupte das
Rosenkränzlein, hält einen schön gearbeiteten Pokal. Homo legt vertrauensvoll seine
Hand in ihre Linke. Gott Amor — mit verbundenen Augen — schlägt zornig auf
Mäßigung ein, die vergebens versucht, den Menschen zum rechten Wege zurückzu-
führen; ihr Zaum erscheint ihm wenig verlockend.
Homo setzt nun alle Hoffnung auf das blinde Glück. Der dritte Teppich der Folge
ist Fortuna geweiht. Sie erscheint als Frauengestalt mit verbundenen Augen; die
Kugel rollt; hinter ihr bläht sich das Segel. Zur Linken regnen Kronen, Szepter,
Siegeskränze, Gold und Geschmeide auf eine kleine Gruppe von Königen und Königinnen,
Kriegern und Gelehrten. Wesentlich bescheidener gibt sich die rechte Seite. Ein ein-
beiniger Bettler streckt verlangend die Hände dem Glück entgegen. Arme Teufel —
Männer, Frauen und Kinder — blicken erwartungsvoll auf den kommenden Segen,
der allerdings wenig verlockend ausfällt. Panzer, Schwerter, Eßnäpfe, leere Beutel,
Krücken, Bettelsäcke prasseln hernieder; auch die Geißel fehlt nicht. Ein junger Mensch
drückt weinend das Tuch vor die Augen. Die Komposition mutet an wie eine der
bekannten Moralitäten, in denen der dritte Stand nicht gerade sonderlich glimpflich
wegkommt. Immerhin ist die Darstellung dezent genug, um bei dem königlichen
Besteller der Folge keinen iVnstoß zu erregen. Gott, der Herr, hat in seiner Weisheit
die Verteilung der irdischen Güter und Ehren so geregelt, daß einem Teile der Mensch-
heit ein Mehrmaß an Mühe und ein Mindermaß an Freuden zufallen muß. Auch im
17. Säkulum erinnert man sich gern der Ekloge des Baptista Mantuanus (um 1470).
Philipp Melanchthon stutzt (1539) die Version für die protestantische Auffassung zurecht.
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auf, Jagdspieß und der Mond Dianens sind ihre Embleme; der Schmerz erscheint als
Alte, ein dunkles Gewand verhüllt das Haupt, die Rechte hält das Tränentuch, die
Linke führt die nach unten gekehrte Fackel; der Geiz schließlich schlägt mit dem
Geldsack nach dem erschreckten Amor. Namentlich das letztere Motiv ist von be-
sonderem Reize (Abb. 175). In einer Wechselstube hockt der Wucherer, die Brille auf
der Nase; Avaritia nimmt den Platz vor dem Zahltische ein, auf dem sich die Geld-
beutel häufen. Gott Amor drückt behutsam den unteren Flügel der doppelteiligen
Tür auf. Wütend kläfft der Köter; die Allegorie des Geizes faßt einen schweren
Geldsack, um ihn auf das Haupt des Unvorsichtigen, der es gewagt, ihrem Hörigen
zu nahen, niederzuschmettern. Im Hintergrunde öffnet sich eine weite Gartenanlage
mit ausgedehntem Wasserparterre. Die übrigen Teppiche der Folge — im spanischen
Staatsbesitz — beschränken sich zumeist darauf, den Liebesgott von einer ihm feind-
lich gesinnten allegorischen Gestalt verfolgen zu lassen. Keuschheit als Nymphe, in der
bekannten Pastorellentracht, — der Haaraufbau ist mit Perlenschnüren durchflochten —
sucht Amor zu erreichen; Schweißhunde verfolgen die Fährte. In einem anderen
Teppich kommt der kleine Gott weniger glimpflich fort; Saturn, die Zeit, beschneidet
ihm unbarmherzig mit der Sichel die Flügel. Venus springt aus dem von Tauben
gezogenen Wagen, ihrem mißhandelten Schützling beizustehen. Mäßigung, den Zaum
über dem rechten Arme, stellt sich ihr entgegen.
Eigenartig gibt sich die Darstellung eines weiteren Behanges. Mars — ein römischer
Krieger — rühmt sich seiner Macht. Frau Venus — die Perlenschnüre des Haarschmuckes
tragen ein brennendes Herz — scheint ihm zu widersprechen. Der kleine Amor, mit
drollig wütendem Gesicht, will mit seinem Bogen auf den Kriegsgott einhauen.
„Das Leben des Menschen" in der Auffassung des Barocks ähnelt in manchen Punkten
der Pelerinage de l'Homme oder dem Homme pecheur des endenden 15. Säkulums.
Die Folge — gleichfalls im königlich spanischen Besitz — beginnt mit einem kleineren
Teppich. Zw7ei Philosophen des Altertums thronen auf Wolken, in den Händen schw ere
Folianten, die Stirne ziert der Lorbeerkranz. Zu den Füßen der Unsterblichen liegt
überwunden die Zeit, ein geflügelter Greis. Im nächsten Teppich erscheint Homo,
umgeben von den Freuden des Lebens. Bacchus, der dicke Weingott, füllt in köstlich
getriebene Schale das goldene Naß. Frau Yenus winkt den Erdenpilger zu sich
heran, in der Rechten das brennende Herz. Auch Ceres fehlt nicht nach altem Spruche,
im Arme das Füllhorn. Abundantia in reichem Barockbrokat, auf dem Haupte das
Rosenkränzlein, hält einen schön gearbeiteten Pokal. Homo legt vertrauensvoll seine
Hand in ihre Linke. Gott Amor — mit verbundenen Augen — schlägt zornig auf
Mäßigung ein, die vergebens versucht, den Menschen zum rechten Wege zurückzu-
führen; ihr Zaum erscheint ihm wenig verlockend.
Homo setzt nun alle Hoffnung auf das blinde Glück. Der dritte Teppich der Folge
ist Fortuna geweiht. Sie erscheint als Frauengestalt mit verbundenen Augen; die
Kugel rollt; hinter ihr bläht sich das Segel. Zur Linken regnen Kronen, Szepter,
Siegeskränze, Gold und Geschmeide auf eine kleine Gruppe von Königen und Königinnen,
Kriegern und Gelehrten. Wesentlich bescheidener gibt sich die rechte Seite. Ein ein-
beiniger Bettler streckt verlangend die Hände dem Glück entgegen. Arme Teufel —
Männer, Frauen und Kinder — blicken erwartungsvoll auf den kommenden Segen,
der allerdings wenig verlockend ausfällt. Panzer, Schwerter, Eßnäpfe, leere Beutel,
Krücken, Bettelsäcke prasseln hernieder; auch die Geißel fehlt nicht. Ein junger Mensch
drückt weinend das Tuch vor die Augen. Die Komposition mutet an wie eine der
bekannten Moralitäten, in denen der dritte Stand nicht gerade sonderlich glimpflich
wegkommt. Immerhin ist die Darstellung dezent genug, um bei dem königlichen
Besteller der Folge keinen iVnstoß zu erregen. Gott, der Herr, hat in seiner Weisheit
die Verteilung der irdischen Güter und Ehren so geregelt, daß einem Teile der Mensch-
heit ein Mehrmaß an Mühe und ein Mindermaß an Freuden zufallen muß. Auch im
17. Säkulum erinnert man sich gern der Ekloge des Baptista Mantuanus (um 1470).
Philipp Melanchthon stutzt (1539) die Version für die protestantische Auffassung zurecht.
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