Deutung
charakteristisch durchgeführt, die derb-geistreiche Art läßt den Kern der Erkenntnis
nicht allzu bitter empfinden. Das Schlußbild der Folge — der Tod als Gerippe —
ist meines Wissens in keiner der noch erhaltenen Folgen zur Darstellung gebracht.
Mit richtigem Empfinden hat der Patronenmaler das Motiv gemieden; das ins Riesen-
hafte vergrößerte Skelett entspricht in keiner Weise dem festlich frohen Charakter
des Wandteppichs.
Lediglich die Pariser Gombaut- und Maceefolge des Herzogs von Buccleuch besitzt
den Triumph des Todes. An Stelle des Gerippes erscheint der geflügelte Saturn mit
wallendem Barte, in den Händen die Sense. Entsetzt fliehen die Schäfer (269).
Auch im 17. Jahrhundert büßen die allegorischen Bildteppichreihen wenig von ihrer
alten Beliebtheit ein. Die Klassifizierung nach bestimmten Leitfaden gestaltet sich bis-
weilen schwierig, der Stern der Literatur ist zu missen. Nicht der Schriftsteller ist
der Entwerfer der Grundidee, der Maler legt sich die bisweilen recht krausen Ge-
dankengänge zurecht. Wenn auch ein unmittelbarer Einfluß einer zeitgenössischen Alle-
gorie mit Sicherheit bei keiner der von mir durchgesehenen Folgen nachzuweisen ist,
so ist die Literatur immerhin von nicht zu unterschätzender Bedeutung; sie bildet das
Milieu, die geistige Grundlage der schöpferischen Phantasie des entwerfenden Meisters.
Dichtungen in der Art wie Daniel Heins „Emblemata van Minne" oder „Het am-
bacht van Cupido", die mit eigenartigen Sinnbildern und Devisen arbeiten, bringen die
prächtigsten Anregungen. Zevecote schreibt seine „Sinnebeelden"; noch seltsamer
gibt sich der „Spieghel der eignen kennisse", den 1643 Willem van der Borcht
verfaßt. Ein Mann besitzt einen Spiegel, der alle menschlichen Gebrechen un-
weigerlich anzeigt. Mit diesem „Spieghel" reist der Wundermann von Ort zu Ort,
jedem hält er sein Zauberglas vor die Augen. Das Ganze läuft auf eine Kritik der
einzelnen Gesellschaftsklassen hinaus. Das alte Motiv der „seven Hooftsonden" bringt
Ogier in neuer Form. Die sieben Todsünden erscheinen nicht mehr als bewaffnete
und kämpfende Frauengestalten, kleine Episoden illustrieren die einzelnen Laster.
Von gewissem Einflüsse sind ferner die allegorischen Dichtungen des ConstantijnHuygens;
Jakob Cats schreibt seine „Emblemata of sinnebeelden", 1632 folgt der vielgelesene
„Spiegel van den ouden en nieuwen tijdt"; das «Tooneel der mannelicke Achtbaer-
heydt" verknüpft die biblische Intrige gegen Esther mit didaktischen Bemerkungen.
Die wenigen Beispiele genügen immerhin, um zu zeigen, daß in Flandern, Brabant
und Holland der alte Sinn für das lehrhafte Gedicht, zumal wenn der Poet die Farben
stark aufträgt und an Würze nicht spart, sich lebensfähig erhalten hat. Die oft
seltsam anmutenden allegorischen Motive, deren sich die Malerei des 17. Säkulums in
so reichlichem Maße bedient, sind letzten Endes nichts weiter wie der Niederschlag
zeitgenössischen Fühlens und Denkens; die Freude am Spintisieren, die Lust am Rätseln.
Mit asketischen Anschauungen haben die Totenschädel und Gebeine, die mitunter in
flämischen Stilleben erscheinen, nichts zu tun; die derbe Sinnenfreude, die Lust an
fröhlichem Trank und Tanz, an ausgelassenem Treiben schlägt Freund Hein ein Schnipp-
chen. „Liebt mit vergnügten Geist, was helfen trübe Sinne? Tut es dem Feldhuhn
gleich, das fett wird bei der Minne" singt Vater Cats, der Autor der Sinnbilder.
Die allegorischen Motive der Barockzeit lassen sich im wesentlichen in vier große
Gruppen zerlegen. Die erste umfaßt die Allgewalt der Liebe; die zweite zeigt uns
die Feinde des menschlichen Lebens, die Krankheiten und Laster; die dritte beschränkt
sich auf Bilder mehr allgemeinen Inhaltes, etwa auf die Verherrlichung eines antiken
oder zeitgenössischen Helden; die vierte schließlich ist der Glorifikation der Kirche
gewidmet. Die Amorteppiche arbeiten entweder nach Stellen aus den Ovidschen
Metamorphosen, oder sie bringen den Liebesgott mit den verschiedensten sinnbildlichen
Verkörperungen in Verbindung. Die allegorischen Figuren sind in der Regel leicht
verständlich. Die Zeit erscheint als Saturn, auf dem Haupte die Sanduhr, in der Hand
die Sichel; Mäßigung hält den Zaum; Gerechtigkeit führt Wage und Schwert — die
Augen sind mit einem Tuche verbunden —; der Neid wird als schlangenhaariges Scheusal
dargestellt, in den Händen die züngelnden Nattern; die Keuschheit tritt als Nymphe
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charakteristisch durchgeführt, die derb-geistreiche Art läßt den Kern der Erkenntnis
nicht allzu bitter empfinden. Das Schlußbild der Folge — der Tod als Gerippe —
ist meines Wissens in keiner der noch erhaltenen Folgen zur Darstellung gebracht.
Mit richtigem Empfinden hat der Patronenmaler das Motiv gemieden; das ins Riesen-
hafte vergrößerte Skelett entspricht in keiner Weise dem festlich frohen Charakter
des Wandteppichs.
Lediglich die Pariser Gombaut- und Maceefolge des Herzogs von Buccleuch besitzt
den Triumph des Todes. An Stelle des Gerippes erscheint der geflügelte Saturn mit
wallendem Barte, in den Händen die Sense. Entsetzt fliehen die Schäfer (269).
Auch im 17. Jahrhundert büßen die allegorischen Bildteppichreihen wenig von ihrer
alten Beliebtheit ein. Die Klassifizierung nach bestimmten Leitfaden gestaltet sich bis-
weilen schwierig, der Stern der Literatur ist zu missen. Nicht der Schriftsteller ist
der Entwerfer der Grundidee, der Maler legt sich die bisweilen recht krausen Ge-
dankengänge zurecht. Wenn auch ein unmittelbarer Einfluß einer zeitgenössischen Alle-
gorie mit Sicherheit bei keiner der von mir durchgesehenen Folgen nachzuweisen ist,
so ist die Literatur immerhin von nicht zu unterschätzender Bedeutung; sie bildet das
Milieu, die geistige Grundlage der schöpferischen Phantasie des entwerfenden Meisters.
Dichtungen in der Art wie Daniel Heins „Emblemata van Minne" oder „Het am-
bacht van Cupido", die mit eigenartigen Sinnbildern und Devisen arbeiten, bringen die
prächtigsten Anregungen. Zevecote schreibt seine „Sinnebeelden"; noch seltsamer
gibt sich der „Spieghel der eignen kennisse", den 1643 Willem van der Borcht
verfaßt. Ein Mann besitzt einen Spiegel, der alle menschlichen Gebrechen un-
weigerlich anzeigt. Mit diesem „Spieghel" reist der Wundermann von Ort zu Ort,
jedem hält er sein Zauberglas vor die Augen. Das Ganze läuft auf eine Kritik der
einzelnen Gesellschaftsklassen hinaus. Das alte Motiv der „seven Hooftsonden" bringt
Ogier in neuer Form. Die sieben Todsünden erscheinen nicht mehr als bewaffnete
und kämpfende Frauengestalten, kleine Episoden illustrieren die einzelnen Laster.
Von gewissem Einflüsse sind ferner die allegorischen Dichtungen des ConstantijnHuygens;
Jakob Cats schreibt seine „Emblemata of sinnebeelden", 1632 folgt der vielgelesene
„Spiegel van den ouden en nieuwen tijdt"; das «Tooneel der mannelicke Achtbaer-
heydt" verknüpft die biblische Intrige gegen Esther mit didaktischen Bemerkungen.
Die wenigen Beispiele genügen immerhin, um zu zeigen, daß in Flandern, Brabant
und Holland der alte Sinn für das lehrhafte Gedicht, zumal wenn der Poet die Farben
stark aufträgt und an Würze nicht spart, sich lebensfähig erhalten hat. Die oft
seltsam anmutenden allegorischen Motive, deren sich die Malerei des 17. Säkulums in
so reichlichem Maße bedient, sind letzten Endes nichts weiter wie der Niederschlag
zeitgenössischen Fühlens und Denkens; die Freude am Spintisieren, die Lust am Rätseln.
Mit asketischen Anschauungen haben die Totenschädel und Gebeine, die mitunter in
flämischen Stilleben erscheinen, nichts zu tun; die derbe Sinnenfreude, die Lust an
fröhlichem Trank und Tanz, an ausgelassenem Treiben schlägt Freund Hein ein Schnipp-
chen. „Liebt mit vergnügten Geist, was helfen trübe Sinne? Tut es dem Feldhuhn
gleich, das fett wird bei der Minne" singt Vater Cats, der Autor der Sinnbilder.
Die allegorischen Motive der Barockzeit lassen sich im wesentlichen in vier große
Gruppen zerlegen. Die erste umfaßt die Allgewalt der Liebe; die zweite zeigt uns
die Feinde des menschlichen Lebens, die Krankheiten und Laster; die dritte beschränkt
sich auf Bilder mehr allgemeinen Inhaltes, etwa auf die Verherrlichung eines antiken
oder zeitgenössischen Helden; die vierte schließlich ist der Glorifikation der Kirche
gewidmet. Die Amorteppiche arbeiten entweder nach Stellen aus den Ovidschen
Metamorphosen, oder sie bringen den Liebesgott mit den verschiedensten sinnbildlichen
Verkörperungen in Verbindung. Die allegorischen Figuren sind in der Regel leicht
verständlich. Die Zeit erscheint als Saturn, auf dem Haupte die Sanduhr, in der Hand
die Sichel; Mäßigung hält den Zaum; Gerechtigkeit führt Wage und Schwert — die
Augen sind mit einem Tuche verbunden —; der Neid wird als schlangenhaariges Scheusal
dargestellt, in den Händen die züngelnden Nattern; die Keuschheit tritt als Nymphe
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