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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0256
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Deutung

die Schulter. Der Vordergrund ist mit Emblemen der verschiedensten Art besät; Helm
Schild, Keule, Schwert, Szepter, Lorbeerkranz, Tintenfaß, Feder, Aktenfaszikel, Geige
und Rechentafel bilden ein buntes Durcheinander. Der Hintergrund schließt sich in
schweren dunklen Tönen; die leuchtenden Farben der großen Figuren kommen kräftig
zur Wirkung, aus den Wolken bricht der Blitz. Besonders charakteristisch für die Art
der Lösung ist die Behandlung der Hauptperson. Weit im Hintergrunde schreitet der
Tod als winziges, durch einen Mantel verhülltes Gerippe. Die Höhe der Figur beträgt
nicht mehr als 36 cm; sie verschmilzt in der Farbengebung völlig mit dem blaugrauen
Himmel. Neben dem Tode reckt sich die Kolossalgestalt des fliehenden Königs in einer
Höhe von nicht weniger als 255 cm. Der Teppich dürfte das einzige Stück dieser Art
sein; die Gestalt des handelnden Todes ist ebenso eigenartig wie glücklich gelöst.

Der Abtakt der Folge lehnt sich an das Motiv der Petrarcaschen Triumphe an. Auf
prächtigem Wagen fährt die siegende Tugend einher. Putten halten über ihrem Haupte
die zum Ringe geschlossene Schlange, das Symbol der Ewigkeit, das erlösende Kreuz,
den Anker der Hoffnung und das brennende Herz, die bekannten Embleme der drei
theologischen Tugenden. Als Gespann fungieren vier Amoretten mit den Attributen
der Gerechtigkeit (Schwert und Wage), der Wahrheit (Spiegel und Schlange), der
Mäßigkeit (im Arme ein großes Gefäß) und der Erkenntnis (Glas mit einer Essenz). Unter
den Rädern des Triumphzuges liegen zermalmt, Zeit — als Saturn —, Glück, Neid mit
dem Erinnyenhaupte, Liebe und Tod. In den Wolken schweben die vier Weisen des
Altertums; es dürfte sich um Cicero (Rhetorik), Aristoteles (Dialektik), Pythagoras (Mathe-
matik und Musik) und Ptolemäus (Astrologie) handeln. Der Entwurf ist ersichtlich von
der Rubensfolge der sieghaften Kirche beeinflußt; die Verwandtschaft mit dem Triumph
des Abendmahls über Unwissenheit und Verblendung ist unverkennbar. Wohl in An-
lehnung an die vier Evangelisten der berühmten Reihe hat der Patronenmaler die
Weisen der Antike gewählt. Nach ähnlichen Grundsätzen schildern verschiedene alle-
gorische Folgen der Wiener Staatssammlung. Eine Serie illustriert die die Welt be-
herrschenden Kräfte: die Kartons zeichnete Ludwig van Schoor. Abundantia ist von
den Symbolen des Überflusses umgeben. Simplicitas erhält einen spielenden Knaben
als Sinnbild (Abb. 339). Monarchia trägt Szepter und Weltkugel, Sapientia hält ein
Gefäß in den Händen, aus dem Flammen schlagen usw. Kurz wir finden che uns bekannte
Symbolik, die seltsam italienische Embleme mit deutschen und französischen Reminis-
zenzen mischt. Ähnlich verhält es sich mit einer weiteren Serie, den „Neigungen der
Menschen". Der Gelehrte wird in seiner Studierstube von der Muse gekrönt; Mars
drückt einem Krieger den Lorbeerkranz auf das Haupt; Apelles malt Campaspe; Merkur
weilt mit seinen Schutzbefohlenen im Kaufmannskontor; ein Pärchen pflegt der Liebe
und des Weines; den Schluß der aus acht Teppichen bestehenden Folge bildet der
Triumphzug des Geldes.

Dem Atelier des Geraert van der Strecken entstammt eine zweite Reihe, die nach
ähnlichen Leitsätzen arbeitet: Hymen reicht dem Brautpaar den Ehering; der Beruf
des Ackerbauers wird durch Ceres charakterisiert, die einem Landmanne die Gaben
des Feldes (Melonen) zuteilt; Pallas Athene thront als Hüterin der Weisheit, im Hinter-
grunde erhebt sich die Rednertribüne usw.

Die Beispiele sind mit der kurzen Aufzählung bei weitem nicht erschöpft. Die ba-
rocken Embleme lassen mitunter Klarheit und Tiefe missen. Die verschiedenartigsten
fremdländischen Einflüsse, die auf Literatur und Kunst Brabants und Flanderns wirken,
werden nicht selten von dem Patronenmaler nur halb verstanden, bisweilen auch
willkürlich entstellt oder mit neuerfundenen Motiven vermengt.

Die Mehrzahl der großen Folgen des 17. Jahrhunderts beschränkt sich nicht auf die
sachliche Wiedergabe der betreffenden Erzählung; Allegorien erläutern und ergänzen
die Legende.

Eine der bekanntesten Rubensserien, die Geschichte des Decius Mus bringt außer
Episoden aus dem Leben des römischen Feldherrn verschiedene sinnbildliche Motive.
Die Galerie des Fürsten Lichtenstein zeigt eine fast vollständige Reihe:

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