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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0291
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A r r a s

Die Formensprache zeigt unverkennbar die Einwirkung der nordfranzösischen Maler-
schule des ausgehenden 14. Jahrhunderts. Wir finden den gleichen Linienfluß, die der
Eigenart des Wandteppichs günstige weiche Modellierung der Ubergänge, die sich
trefflich mit Hilfe der langen, ineinander gesetzten Schraffen lösen läßt, die schmalen
Köpfe mit den kühnen Nasen, dem wohlgepflegten Haar und Bart. Die von Fierens
Gevaert in seiner „Renaissance septentrionale" wiedergegebenen Miniaturen des
Haincelin von Hagenau stehen dem Kreise der Arraser Bildwirkerei um 1400 besonders
nahe. Ähnlich liegt der Fall bei dem Li vre d'Heures des Herzogs von Berry; ver-
schiedene Miniaturen weisen die stärkste Stilverwandtschaft mit dem Liebesteppich im
Louvremuseum auf. Wir finden in dem Behänge die gleichen, merkwürdig ver-
ästelten Stammbildungen wie in dem Kalenderbilde des Mai der erwähnten Tres riches
Heures. Es würde zu weit führen, die Miniaturen des Andreas Beauneveu, des mut-
maßlichen Urhebers der «petites heures de Jean de Bern", die Arbeiten des Brügger
Meisters Jacquemart de Hesdin oder die Wenzelhandschriften zum Vergleiche heran-
zuziehen (28). Der Kunstkreis, der für die Vorlagen der noch erhaltenen Arraser Bild-
teppiche in Frage kommt, liegt fest. Eigenartig erscheint die weitgehende Über-
einstimmung mancher Miniaturen mit Arraser Teppichfragmenten, die sich selbst auf
Einzelheiten, wie auf die Durchführung des Baumschlages, die Behandlung des Vorder-
grundes und anderer Details erstreckt. Die Tatsache legt unwillkürlich den Gedanken
an zentrale Ateliers, in der Art, wie sie später Jan van Roome und die van Orley in
Brüssel eröffnen, nahe. Andrerseits ist nicht zu verkennen, daß gerade bei der Durch-
bildung des Pflanzenwuchses die alten Formeln der Buchmalerei fast zwei Jahrhunderte
noch ihren Einfluß auf die Bildteppichwirkerei behaupten. Von dem Streben nach
Naturalismus ist, soweit es die Flora angeht, nur wenig zu entdecken. Ein Vergleich
der in den Arraser Teppichen vorkommenden Blatt- und Baumformen mit den aus
Handschriften des 13. Jahrhunderts entnommenen Typen, die A. E. Brinkmann in seinen
„Baumstilisierungen" bringt, illustriert zur Genüge diese Tatsache (29).

Die Eingliederung der Arraser Erzeugnisse und ihre Trennung von den späteren
Tournaiser Wandteppichen, die unter dem Einflüsse eines verwandten Miniaturenkreises
stehen, die als logische Fortentwicklung der Bildwirkereien des Artois mit den gleichen
technischen Mitteln arbeiten, gestaltet sich schwierig. Eine vollkommen sichere Be-
stimmung ist ausgeschlossen, zumal außer für die Piat- und Eleutheriusfolge urkundliche
Belege fehlen, die sich mit den noch erhaltenen, in Frage kommenden Stücken in Ver-
bindung bringen lassen.

Maßgebend sind einesteils zeitliche Gründe — Tournai tritt als Manufaktur von Be-
deutung nicht vor 1430—1440 in Erscheinung —, andernteils der rein stilistische Ver-
gleich an Hand der für diesen Zweck allerdings unzulänglichen Fereschen Folge.

Immerhin lassen sich gewisse Teppichgruppen, die in dem Blayebehang und dem
Liebesteppich des Louvre ihre Kristallisationspunkte finden, mit einiger Sicherheit Arras
zuweisen.

Sollte tatsächlich der urkundliche Nachweis einwandfrei gelingen — was kaum der
Fall sein dürfte —, daß Tournai bereits in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts
zahlreiche und umfangreiche Folgen lieferte, so schwankt auch diese Basis.

Charakteristisch für Arras ist die Vorliebe für reiche architektonische Gliederung,
ein Merkmal, das die Apokalypse zu Angers, die in manchen Dingen wie ein Vor-
läufer der Fernsehen Folge anmutet, gleichfalls aufzuweisen hat. Unverkennbar ist die
Durchbildung des Himmels, dessen parallel zur Kette gesetzten hellen und dunkel-
blauen Streifen durch stark betonte Schraffen zusammengehalten werden. Andere
Arraser Arbeiten, wie das Louvrefragment und das leider schlecht erhaltene Bruchstück
im Musöe des Arts Decoratifs zu Paris, verzichten auf eine Detaillierung des Himmels,
der als gleich getönter Untergrund erscheint.

Noch klarer zeigt die Merkmale eines Arraser Teppichs aus dem Beginne des 15. Jahr-
hunderts ein umfangreiches Fragment im Museo Civico zu Padua (Abb. 189). Es handelt sich

11> Göbfc], Wandteppiche.

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