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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0335
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T o u r n a i

Grund nicht mit abgeschnittenen Zweigen, sie lassen blühende Pflanzenbüschel, fein
säuberlich geordnet, in einer gewissen Symmetrie aufmarschieren.

Die Lösung des Vordergrundes der bislang besprochenen Tournaiser Bildwirkereien
ist so charakteristisch, daß sich Rückschlüsse auf die Art der Yerdüren ohne weiteres
rechtfertigen lassen.

Ein Beispiel spricht besser wie lange Ausführungen. Das Berner Historische Museum
birgt aus der Burgunder Beute ein Teppichfragment: Karls des Kühnen Wappenschild,
die Insignien des Goldenen Yließes und das durch eine Art Liebesknoten verschnürte c
(Charles) heben sich von dunklem Grunde, der über und über mit blühenden Pflanzen-
büscheln — Glockenblumen, Lilien, Fingerhut, Nelken und anderen Vertreterinnen
Floras — bedeckt ist (Abb. 250). Der Teppich stellt zweifelsohne ein Tournaiser Erzeugnis
dar; wir finden die verschiedenen Pflanzen in Art und Anordnung ohne Mühe im Vorder-
gründe gleichzeitiger Personenfolgen wieder. Die Dekorationsmethode ist keine Er-
findung Tournais, sie ist dem «champ vert herbu" der Manufakturen von Arras ent-
lehnt. Die gleiche Freude an dem blühenden Bunt — es handelt sich um die bildliche
Wiedergabe des Hausgartens, in dem Kaninchen, Hunde und allerlei Getier ihr Wesen
treiben — erfüllt mehr denn zwei Jahrhunderte den Beschauer mit Entzücken.

Ähnlich wie die Manufakturen der Touraine bemächtigt sich auch Brüssel des be-
liebten Motives. Das Hamburgische Museum für Kunst und Gewerbe besitzt eine
Brüsseler Verdüre, deren Mittelfeld stark die Abhängigkeit von Tournai verrät. Die
blühenden Büschel marschieren zwar noch einzeln auf, der Abstand, den Tournai
peinlich wahrt, ist bereits verwischt; die malerisch-plastische Durcharbeitung der
Wappenverdüren Pannemakers ist noch nicht erreicht. Im zweiten Viertel des 16. Jahr-
hunderts deckt Brüssel den Grund mit einem einheitlichen Netze blühender Pflanzen;
Fasanen, Papageien, Zwei- und Vierbeiner der verschiedensten Art brechen aus farben-
frohem Gestrüpp.

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