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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0473
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Brüssel

Stellung aus. Daneben sind blaue, grüne und rote Töne nur äußerst sparsam verwandt;
der Gesamteindruck ist ausgesprochen gelb. Andere Teppiche wieder arbeiten vor-
wiegend mit Grün und Blau. Es ist ausgeschlossen, daß rein technische Gründe die
Verwendung derart beschränkter Farben erzwungen haben können. Schon die starke
Nuancierung spricht gegen diese Annahme, ganz abgesehen davon, daß nachweislich
zu Ausgang des 16. Jahrhunderts der Brüsseler Färbereibetrieb durchaus auf der Höhe stand.

Die Wahl der Töne ist nicht mehr dem Wirker überlassen, der Patronenmaler
beginnt seine diktatorische Tätigkeit.

Lehrreich ist ferner eine Kleopatrafolge mit der Signierung der Witwe Geubels, die
mit abgedämpften blauen, grünen und braunen Tönen vorgeht. Teppichfolgen, wie die
berühmten „Feste Heinrichs III. von Frankreich" (Abb. 155) in der florentinischen Staats-
sammlung, die um 1580 in einem Brüsseler Atelier entstanden, die trotz aller Detail-
häufung sich einen gesunden Sinn für übersichtliche Komposition und klare Farben-
wirkung wahrten, gehören zu den Ausnahmen.

Unendlich viel stärker und wuchtiger, wie ein Jahrhundert zuvor Raffaels Taten
der Apostel, tritt Rubens' Decius Mus in das Gebiet der Bildwirkerei. Hier wie dort
kämpft Bild gegen Fläche. Der Siegeszug der neuen Kunst zu Ende des zweiten
Dezenniums wirkt um so unvermittelter, als dokumentarische Unterlagen für die
Patronenmalertätigkeit der Lehrer des Rubens nur spärlich vorhanden sind.

Es ist sehr die Frage, ob die Bildteppichentwürfe des Otto van Veen, der sich
nachweislich mit Patronenzeichnen abgibt — am 3. November 1597 zahlt ihm der
Antwerpener Rat den Betrag von 650 Gulden für eine nicht näher benannte Reihe,
die Martin Reynbouts in die Wirktechnik überträgt — nennenswerten Einfluß auf
seinen Schüler gewonnen haben.

Brauchte es eine Reihe von Jahrzehnten, um den Orleystil, ein dem flämischen Geiste
so nahestehendes Formempfinden, zu verdrängen, so wird die wuchtige, von gewaltigem
Pathos durchglühte Sprache des Rubens wie eine Erlösung empfunden, die einen
Ausweg zeigt aus dem verknöcherten, zerrissenen, kleinlich gewordenen Schema der
Bildteppichmalerei. Die Decius Musfolge nimmt als erste einen ungeahnten Siegeslauf,
die Wiederholungen häufen sich von Jahr zu Jahr.

Die Durchführung der riesigen Reihen überläßt Rubens den Schülern. Seine Tätigkeit
beschränkt sich auf die Entwürfe und eine mehr oder weniger eingehende Kontrolle
und Überarbeitung der naturgroßen Kartons.

Die Hauptarbeit an der Decius Musreihe fällt (1619/1620) Anton van Dyck, seinem
besten Schüler, zu, unter dessen Namen die Patronen später gehen. Auch Gonzales
Cocjues ist, sofern seine eigenen Angaben auf Wahrheit beruhen, ein eifriger Mitarbeiter.

Ähnlich verhält es sich mit der aus acht Kartons bestehenden Geschichte des Achilles,
die um 1630 bis 1635 im Auftrage des Königs von Spanien entstanden sein dürfte, an
deren Durcharbeitung Theodor van Thulden hervorragenden Anteil hat. Die Serie
ist mehrfach wiederholt; u. a. besitzt das Brüsseler Cinquantenairemuseum eine aus
fünf Teppichen bestehende Folge, die in den Bordüren das Wappen der in Antwerpen
ansässigen Mailänder Familie de Carenna trägt. Die Behänge dürften um 1660 ent-
standen sein, es handelt sich um eine der späteren Kopien.

Die Teppiche zeigen mit außerordentlicher Klarheit alle Vorzüge und Schwächen
des neuen Bildteppichstiles.

Vergebens bemüht sich der Wirker, dem Pinselstrich — die Ausführung der großen
Patronen erfolgt in Ölfarben, nicht mehr in der alten Aquarelltechnik —, der ihm
keine festen Konturen gibt, zu folgen. Am meisten Schwierigkeit scheinen die Ge-
sichter und der Hintergrund bereitet zu haben. Ein ähnlicher Kampf beginnt, wie
einst bei den Raffaelkartons, die insofern noch leichter in die Bildteppichtechnik zu
übertragen waren, als eine klar durchgeführte Zeichnung vorlag, die durch die Farben-
gebung nicht verwischt wurde.

Haben die Entwürfe der Raffaelschule etwas beruhigtes, freskenartiges, so zeigen die
Rubensschen Vorlagen die dem Meister eigene Gewaltsamkeit der Bewegungen, die

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