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Brüssel

Die Groteskenbehänge bilden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine be-
sonders beliebte Abart der Wandteppiche, die mit dem malerischen Stile der Spät-
renaissance prächtig zusammengeht. Das Berliner Kunstgewerbemuseum besitzt ver-
schiedene Brüsseler Grotesken, die um so bemerkenswerter sind, als sie die Bordüre
der berühmten Noahreihe Philipps II. aufweisen. Der Schriftwechsel Granvellas zeigt,
mit welcher Vorsicht gerade diese Umrahmung gegen Mißbrauch geschützt wurde.
Im übrigen sind Groteskenteppiche durchaus nicht selten. Die in Staats- und Privat-
sammlungen vertretenen Exemplare zählen nach Dutzenden. Die früheren Behänge
dieser Art scheinen auf den Einfluß der Antwerpener Meister Franz Floris I, Jakob
Floris, der als Glasmaler einen bedeutenden Ruf besitzt, und Cornelius Floris, dessen
Groteskenmalereien in den Büchern der Liggeren der Antwerpener Lukasgilde mit
manchen Wandteppichen Verwandtschaft zeigen, zurückzugehen.

Als Bordüren- und Staffagemaler kommen wahrscheinlich die Söhne des schon
erwähnten Wilhelm Tons, die Meister Wilhelm und Heinrich in Frage. Wilhelm
Tons der Jüngere zeichnet zudem Bauernszenen mit kleinen Figuren.

Der Brüsseler Everaerd Mockaert und der Mechelner Jakob de Poindre arbeiten
gleichfalls für Teppichwirker. Der authentisch ihnen zuzuschreibende Nachlaß ist zu
geringfügig — von de Poindre ist lediglich das Bildnis eines Bischofs im Besitze des
Grafen de la Beraudiere bekannt —, um Stilvergleichungen zu ermöglichen. Das gleiche
gilt von Adrian van Ghiesberghe und anderen mehr.

Die Zeit der italienischen Hochrenaissance mit den riesigen antikischflämischen Ideal-
gestalten, den römischen Legionären mit den Schwertern und Hellebarden des 16. Säku-
lums, den reichen Architekturen, den jonischen und korinthischen Wandelgängen währt
nur wenige Jahrzehnte.

Das Kleinwerk, die Vorliebe für prächtige Gewandung, die Durchbildung des* Hinter-
grundes in reichgegliederten Bildern, gewinnt rasch wieder die Oberhand, um im
letzten Drittel des 16. Jahrhunderts allbeherrschend zu werden. Die Kolossalfiguren
werden kleiner, die Bildfläche reicht, wie ein Jahrhundert zuvor, fast bis an die obere
Bordüre; dem Horizonte bleibt ein schmaler Streifen, der Raffaelsche Himmel ist ver-
schwunden. Kulissenartig hintereinandergestellte Szenerien füllen die Teppiche in
verblüffender Mannigfaltigkeit; Schloßanlagen, vor denen sich Jagden abspielen, antike
Tempel, Tore, Städtebilder, groteske Berge mit größeren und kleinen Burganlagen
ziehen in buntem Wechsel vorüber. Wir finden die neue Auffassung, im Grunde
genommen nur eine schwächliche Wiedergeburt des flämisch-dekorativen Stiles, in
verschiedenen Behängen der ehemaligen Sammlung Lingner, in einem Simsonfragment
im Wiener Handel, in den langen schmalen Jagdteppichen im Besitze der Berliner
Kunsthandlung I. Klausner und Sohn und in zahlreichen sonstigen Stücken öffentlicher
und privater Sammlungen. Es ist unverkennbar, daß alle diese Teppiche, die nach
Hunderten zählen, auf eine Patronenmalergruppe zurückgehen müssen, zumal gewisse
Details in verschiedenen Folgen sich wiederholen. Das zu starke Betonen der Einzel-
heiten nimmt den Personen des Vordergrundes jede Bedeutung, die Handlung wirkt
unruhig und zerrissen. Die Häufung zahlloser Figürchen auf kleinem Räume, der ständige
Wechsel von Architektur, Baumschlag, Berg- und Felsgebilden ergibt in der Farben-
wirkung ein derart buntscheckiges, mosaikartiges Bild, daß eine befriedigende Lösung
geradezu ausgeschlossen erscheint. Die Unzahl der Farbenflecken hinterläßt letzten
Endes den Eindruck einer grauen Fläche.

Ähnliche Empfindungen führen den Patronenmaler dazu, die lebhaften Farben aus-
zuschalten, entweder mit abgedämpften Tönen oder einer stark eingeschränkten Palette
zu arbeiten.

Ein typisches Beispiel ist der in Abb. 385 wiedergegebene Brüsseler Teppich aus der
Wende des 16. Jahrhunderts. Der Behang verarbeitet fast ausschließlich Gelb, das
von den hellsten Tönen zu einem gesättigten Goldgelb in den Seiden und einem dunklen
Ocker in den Wollen wechselt. Es sind etwa zehn Nuancen zu zählen; wahrscheinlich
war die Zahl noch größer, der Prozeß des Verbleichens schließt eine genaue Fest-

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