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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0474
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Brüssel

außerordentlich gesteigerte Tiefenwirkung, die Vorliebe für die Diagonale, verbunden
mit einer starken Betonung der Muskulatur, einer Farbenpracht, die nicht die geringste
Rücksicht nimmt auf technische und künstlerische Eigenarten der Bildteppichwirkerei.
Es gehört zu den größten Schwierigkeiten der Schraffenmanier, nackte Körper ein-
wandfrei, ohne Verzeichnungen und Härten zu bilden, zumal wenn es sich um die
leidenschaftlich bewegten, sinnlichen, allzu üppigen Leiber der Rubensschen Frauen-
gestalten handelt. Es spricht durchaus nicht gegen das Können der Brüsseler Wirker,
die sich mit den ersten Rubensschen Entwürfen abzufinden haben, wenn sie der
monumentalen Wucht der Vorlagen zunächst befangen gegenüberstehen, wenn Teppiche
zustande kommen, die neben dem Vorbilde schwächlich und kleinlich wirken. Franz
van den Hecke oder der ältere Jan Raes sind ihren auf die neue Technik mehr ein-
geschulten Söhnen durchaus ebenbürtig. Ein Vergleich mit Folgen nach dem alten
Schema zeigt mitunter derartige Kontraste, daß es auf den ersten Blick nicht einleuchten
will, daß beide Reihen der gleichen Manufaktur entstammen.

Die von Rubens beliebten starken Verkürzungen der Arme und Beine, die sich der
Bildfläche zu entringen scheinen, stellen den Wirker vor schwierige Aufgaben. Die
Schattenübergänge werden leicht hart, die leuchtende Fleischfarbe wandelt sich in
bräunliche Töne, die den Gliedern eine ungewollte Schwere geben. Das Fehlen der
Brokatmusterungen läßt die Gewänder steif erscheinen. Der Faltenwurf verliert durch
die Nachahmung der Ölfarbentechnik die Eleganz, die unvermittelt aufgetragenen
Schatten knallen heraus.

Am schärfsten lassen sich die Mängel des neuen Systems bei Teppichen beobachten,
die nur wenige Figuren aufzuweisen haben. In umfangreichen Kompositionen, wie
in dem bekannten Triumphe des Abendmahls, schließt die reiche Farbenwirkung das
Bild zu einem einheitlichen Ganzen, die Einzelheiten treten zurück. Noch schwieriger
gestaltet sich die Lösung des Hintergrundes. Der Kontrast gegenüber den alten Vor-
lagen ist geradezu ungeheuerlich. Herrschte bislang das Streben nach möglichst ein-
gehender Detaillierung, so steht nun der Tapissier Patronen gegenüber, die den Hinter-
grund mit einigen Pinselstrichen abtun. Zog der Kartenzeichner den Horizont fast bis
an die obere Bordüre, so nimmt nun der Himmel einen breiten Raum ein.

Die Wiedergabe der Luft, zumal wenn es sich um helle Töne ohne starke Kontraste
handelt, fordert neues technisches Können, das mit der Schraffentechnik nur noch wenig
gemein hat. Der Unterschied in der Art, wie van Aelst den Raffaelschen Himmel
widergibt, und Franz van den Hecke die zarten blauweißen Töne behandelt, springt
ohne weiteres ins Auge.

Mols berichtet von einer weiteren, Rubens zugeschriebenen Reihe, der Geschichte
des Odysseus. Die Folge soll mit den Kartons nach Spanien überführt und bei einem
Sturme mit dem Schiffe zu Grunde gegangen sein. Ob die Angaben den Tatsachen ent-
sprechen, erscheint fraglich, zumal die großen Patronen der bekannten Rubensschen
Folgen stets dem Wirkereiatelier verblieben.

Die Geschichte Konstantins umfaßt zwölf Teppiche. Die ursprünglichen Skizzen
sind in den Stichen des Nikolaus Tardieu erhalten. Rubens entwarf 1621/1622 die
Folge im Auftrage Ludwigs XIII. von Frankreich für die Manufaktur der Comans
und van der Planken. Die Pariser und die W iener Staatssammlungen besitzen muster-
gültige, wenn auch nicht vollständige Serien des Pariser Ateliers. Ende November
1622 gelangen die vier ersten Patronen zur Ablieferung. Das Urteil, das die Sachver-
ständigen der Seinestadt fällen, das Peiresc seinem Freunde Rubens brieflich über-
mittelt, ist charakteristisch für die damalige Auffassung. Die Anstände, die erhoben
werden, sind lediglich malerischer Natur. Man hält sich auf über des Meisters „ma-
niere de dessiner les jambes, que vous avez arquez, au lieu de les faire droite selon
l'usage"; man kritisiert die Stilechtheit der Rüstungen und stellt ähnliche Fragen
mehr (190). Ob die Entwürfe sich als Vorlagen für Bildteppiche eignen, ist den Be-
urteilern herzlich gleichgültig, eine derartige Fragestellung erschien ausgeschlossen, da
man von altersher gewohnt war, den Wandbehang als gewirktes Bild einzuschätzen,

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