Brüssel
regelmäßigen Abständen die strotzende Fülle; Wappenschilde, Medaillons mit den
Monatszeichen, kleine Szenen in Grau, Goldgelb oder Blau, Kartuschen mit erläuternden
Schrifttafeln sorgen für klare architektonische Gliederung; kleine Burschen treiben als
Pferdchenreiter und Reifenspieler ihr munteres Wesen; harmlose Ungezogenheiten, in
der Art des bekannten Brüsseler Männchens, stören nicht den unbefangenen, auf Derb-
heiten eingestellten Sinn des Menschen der Renaissance (Abb. 69, 98, 100, 101, 112 bis
114, 121, 139, 145, 322, 392 usw.). Es ist bezeichnend, mit welcher Hartnäckigkeit
die Bordüre, die trotz des einheitlichen Zuges eine Fülle köstlicher Varianten der ver-
schiedensten Art bringt, sich gegenüber dem neuen, von Italien einwandernden Ge-
schmacke zu behaupten weiß.
Sowohl die Rosen-Trauben- als auch die Hohlkehlenfassung zeigen zur Genüge, daß eine
große, nach einheitlichen Gesichtspunkten arbeitende Patronenmalergruppe als Erzeuger
in Frage kommt. Nach dem heutigen Stande der Forschung ist es ein vergebliches
Bemühen, einzelne Maler der Orleygruppe herausgreifen zu wollen. Bei dem ständi-
gen Wechsel der Größenverhältnisse — Teppiche ein und derselben Folge werden je
nach Wunsch des Bestellers in ganz verschiedenen Abmessungen geliefert — ist im
übrigen die Tätigkeit des Hausmalers, der jeder größeren Manufaktur zur Verfügung
steht, nicht zu unterschätzen, der neue Kombinationen aus den vorhandenen Vorlagen
zusammenstellt und entsprechende Variationen schafft. Einfachere Ergänzungen erledigt
der Wirker selbst; zuweilen pfuscht er den Patronenmalern dergestalt ins Handwerk,
daß energische Proteste der Geschädigten den Tapissier zwingen, seine Zeichenkünste
nur an Verdüren einfacherer Art zu üben.
Die Einwirkung der Raffaelschen Taten der Apostel gewinnt nur langsam und unter
scharfem Widerstande Boden; ähnlich verhält es sich mit den Bordüren der berühmten
Folge. Die Geschichte der Medici, in einer dem Wesen des Bildteppichs und was
dem damaligen Zeitgenossen bedeutungsvoller gewesen sein dürfte, der Art des heimi-
schen geschnitzten Bilderrahmens noch ungewohnten Auffassung, findet in Flandern
geringes Verständnis. Ein Gegenstück schafft die Orleysche Reihe der Maximilians-
jagden, die Tritonen, Wassergötter und Göttinnen in der unteren Bordüre zu einem
Friese zusammenfaßt, der nicht sonderlich zu der Hohlkehlenlösung der übrigen drei
Seiten stimmen will (Abb. 71). Auch die wesentlich glücklicher gelösten Bordüren der Siege
Albas — Troßkolonnen, aufziehende Heeresteile — gehören mit zu dieser Gattung. Im
Gegensatze zu der unteren Leiste der Acta Apostolorum üben die prächtigen allegorischen
Figuren der Kopf- und Seitenbordüren die weittragendsten Wirkungen aus (Abb. 261,263).
Die Parzen und Hören, die Gestalten der Jahreszeiten, die Helden der Antike, wie
Herkules mit dem Erdenball, die Kardinaltugenden mit ihren Emblemen werden mit
mehr oder weniger geringen Abänderungen in eine Reihe der besten Folgen der flämi-
schen Hochrenaissance übernommen; wir finden sie in der Münchener Geschichte des
ersten Menschenpaares (Abb. 280), in der Wiener Mosesfolge, in den verschiedenen
Wiederholungen der Hersereihe (Abb. 275) und anderen mehr (Abb. 272). Verschie-
dentlich gibt sich das deutliche Bestreben kund, die Seitenbordüren in eigenartiger An-
ordnung durch übereinandergestellte Portiken mit allegorischen Gestalten zu binden,
den malerischen Fluß der Raffaelschule in den geschlossenen Rahmenstil zu zwingen
(Abb. 86, 272, 323, 406). Die obere Bordüre zeigt in den Herseteppichen (Abb. 275)
unverkennbar den geschnitzten Holzrahmen mit dem bekannten Flechtband; ein deko-
ratives Motiv, das unendlich oft im süd- und westdeutschen Fachwerksbau in Er-
scheinung tritt. In den meisten Fällen ist eine Befangenheit gegenüber den antiken
Symbolen der Raffaelschule zu beobachten, die sofort schwindet, sobald es gilt Einzel-
figuren des Kreises in die altgewohnte Blumen- und Fruchtumrahmung zu übernehmen.
Mit einer wahren Begeisterung werden die Tugenden, Caritas mit der Kinderschar,
Fides mit dem Kelche, Temperantia mit der Uhr oder Justitia mit dem Schwerte,
ohne allzuviel Umstände in das blühende Bunt versetzt; eine genaue Nachprüfung
zeigt in mehr als einem Falle, daß von einer einheitlichen Komposition wenig die
Rede ist. Die neuen allegorischen Figuren werden kurzerhand - nicht zum Schaden
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regelmäßigen Abständen die strotzende Fülle; Wappenschilde, Medaillons mit den
Monatszeichen, kleine Szenen in Grau, Goldgelb oder Blau, Kartuschen mit erläuternden
Schrifttafeln sorgen für klare architektonische Gliederung; kleine Burschen treiben als
Pferdchenreiter und Reifenspieler ihr munteres Wesen; harmlose Ungezogenheiten, in
der Art des bekannten Brüsseler Männchens, stören nicht den unbefangenen, auf Derb-
heiten eingestellten Sinn des Menschen der Renaissance (Abb. 69, 98, 100, 101, 112 bis
114, 121, 139, 145, 322, 392 usw.). Es ist bezeichnend, mit welcher Hartnäckigkeit
die Bordüre, die trotz des einheitlichen Zuges eine Fülle köstlicher Varianten der ver-
schiedensten Art bringt, sich gegenüber dem neuen, von Italien einwandernden Ge-
schmacke zu behaupten weiß.
Sowohl die Rosen-Trauben- als auch die Hohlkehlenfassung zeigen zur Genüge, daß eine
große, nach einheitlichen Gesichtspunkten arbeitende Patronenmalergruppe als Erzeuger
in Frage kommt. Nach dem heutigen Stande der Forschung ist es ein vergebliches
Bemühen, einzelne Maler der Orleygruppe herausgreifen zu wollen. Bei dem ständi-
gen Wechsel der Größenverhältnisse — Teppiche ein und derselben Folge werden je
nach Wunsch des Bestellers in ganz verschiedenen Abmessungen geliefert — ist im
übrigen die Tätigkeit des Hausmalers, der jeder größeren Manufaktur zur Verfügung
steht, nicht zu unterschätzen, der neue Kombinationen aus den vorhandenen Vorlagen
zusammenstellt und entsprechende Variationen schafft. Einfachere Ergänzungen erledigt
der Wirker selbst; zuweilen pfuscht er den Patronenmalern dergestalt ins Handwerk,
daß energische Proteste der Geschädigten den Tapissier zwingen, seine Zeichenkünste
nur an Verdüren einfacherer Art zu üben.
Die Einwirkung der Raffaelschen Taten der Apostel gewinnt nur langsam und unter
scharfem Widerstande Boden; ähnlich verhält es sich mit den Bordüren der berühmten
Folge. Die Geschichte der Medici, in einer dem Wesen des Bildteppichs und was
dem damaligen Zeitgenossen bedeutungsvoller gewesen sein dürfte, der Art des heimi-
schen geschnitzten Bilderrahmens noch ungewohnten Auffassung, findet in Flandern
geringes Verständnis. Ein Gegenstück schafft die Orleysche Reihe der Maximilians-
jagden, die Tritonen, Wassergötter und Göttinnen in der unteren Bordüre zu einem
Friese zusammenfaßt, der nicht sonderlich zu der Hohlkehlenlösung der übrigen drei
Seiten stimmen will (Abb. 71). Auch die wesentlich glücklicher gelösten Bordüren der Siege
Albas — Troßkolonnen, aufziehende Heeresteile — gehören mit zu dieser Gattung. Im
Gegensatze zu der unteren Leiste der Acta Apostolorum üben die prächtigen allegorischen
Figuren der Kopf- und Seitenbordüren die weittragendsten Wirkungen aus (Abb. 261,263).
Die Parzen und Hören, die Gestalten der Jahreszeiten, die Helden der Antike, wie
Herkules mit dem Erdenball, die Kardinaltugenden mit ihren Emblemen werden mit
mehr oder weniger geringen Abänderungen in eine Reihe der besten Folgen der flämi-
schen Hochrenaissance übernommen; wir finden sie in der Münchener Geschichte des
ersten Menschenpaares (Abb. 280), in der Wiener Mosesfolge, in den verschiedenen
Wiederholungen der Hersereihe (Abb. 275) und anderen mehr (Abb. 272). Verschie-
dentlich gibt sich das deutliche Bestreben kund, die Seitenbordüren in eigenartiger An-
ordnung durch übereinandergestellte Portiken mit allegorischen Gestalten zu binden,
den malerischen Fluß der Raffaelschule in den geschlossenen Rahmenstil zu zwingen
(Abb. 86, 272, 323, 406). Die obere Bordüre zeigt in den Herseteppichen (Abb. 275)
unverkennbar den geschnitzten Holzrahmen mit dem bekannten Flechtband; ein deko-
ratives Motiv, das unendlich oft im süd- und westdeutschen Fachwerksbau in Er-
scheinung tritt. In den meisten Fällen ist eine Befangenheit gegenüber den antiken
Symbolen der Raffaelschule zu beobachten, die sofort schwindet, sobald es gilt Einzel-
figuren des Kreises in die altgewohnte Blumen- und Fruchtumrahmung zu übernehmen.
Mit einer wahren Begeisterung werden die Tugenden, Caritas mit der Kinderschar,
Fides mit dem Kelche, Temperantia mit der Uhr oder Justitia mit dem Schwerte,
ohne allzuviel Umstände in das blühende Bunt versetzt; eine genaue Nachprüfung
zeigt in mehr als einem Falle, daß von einer einheitlichen Komposition wenig die
Rede ist. Die neuen allegorischen Figuren werden kurzerhand - nicht zum Schaden
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