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Brüssel

Grund läßt das Motiv wirkungsvoll und zugleich zart zum Ausdruck kommen (Abb. 107,
266, 369, 370 usw.).

Die Rosen-Trauben-Bordüre führt etwa drei Jahrzehnte lang die unbeschränkte Herr-
schaft; die italienisierenden Grotesken der Sablonfolge schwanken als Ausnahme zwischen
Bilderrahmen und Miniaturenfassung.

Zunächst besteht eine gewisse Unsicherheit, man sucht den gewohnten Säulchen-
abschluß mit dem neuen Rahmen zu vereinen, indem man kurzerhand den Bildteppich
in der alten Form mit der schmalen Bordüre faßt. Wir finden dieses Nebeneinander
von Säule und Rahmen bei einer Reihe der schönsten Madrider Teppiche, bei der
Krönung der Jungfrau, einem ausgesprochenen Tabernakelbehang, der Geschichte Davids,
Christi Kreuztragung und vielen anderen mehr (Abb. 115, 116, 119 usw.). Der Rahmen
erfährt im zweiten Dezennium gewisse Bereicherungen; es treten neue Pflanzenmotive
hinzu, in erster Linie erscheint die Schwertlilie mit ihrem charakteristischen Blattwerk;
Anemone, Mohn und Winde stellen sich ein, Singvögel beleben malerisch das fröh-
liche Bild.

Mit der Lockerung der im gleichförmigen Rhythmus durchgeführten Fassung, mit
dem Eindringen neuer, reicher Motive aus Fauna und Flora wird eine Unterteilung der
Bordüre notwendig, die dem Ganzen wieder ein klares Gefüge verleiht. Die Fassung
wird in eine Anzahl Kästen aufgeteilt, dergestalt, daß langgestreckte Rechtecke mit Qua-
draten wechseln, mit Blumen malerisch ausstaffiert (Abb. 107,118). Gewöhnlich zeigt das
Rechteck den Rosenzweig oder das Traubengerank, das Quadrat einen blühenden
Pflanzenbüschel, ein Windröschen oder dergleichen. Es liegt der Gedanke sehr nahe,
die Quadrate mit Motiven zu füllen, die, der italienischen Renaissance entnommen, dem
Zeitgenossen im höchstem Maße „modern" erscheinen mußten. Wir finden das be-
helmte bärtige Haupt, den nackten Putto, selbst kleine Szenen in Camaieu fehlen nicht;
Wirkereien mit religiösen Motiven verwenden gern die vier Symbole der Evangelisten
und ähnliche Zeichen mehr.

Neben der Kastenlösung geht eine zweite, die eine Aufteilung dergestalt anstrebt, daß
in gewissen Abständen das Pflanzenwerk durch Agraffen gefaßt wird, gewissermaßen
der Rahmen sich in Einzelgewinde auflöst (Abb. 77, 85, 87—89,141 usw.). Während die
Kastenbordüre in der Weiterentwicklung versagt und zum öden Schema herabsinkt,
schafft die Girlande den Ubergang zu der malerischen Rahmung der Brüsseler Hoch-
renaissance; sie bringt uns die Leisten der Maximiliansfolge, der Apokalypse, der Jakob-
und der Todsündenfolge und unzähliger anderer Serien. Auch in ihrer höchsten Voll-
endung verleugnet diese so typische Bordüre nicht ihre Abstammung vom Bilderrahmen.
Ein Palmstrunk oder ein Lorbeerfeston lagert in tiefer Hohlkehle; Gewinde von Blumen
und Früchten, mehr oder weniger malerisch geordnet, schlingen sich um den Stab;
schmale Leisten geben die äußere Fassung (Abb. 71, 80, 101, 109, 111, 128, 133, 161,
374, 382 usw.). Als belebendes Moment tritt die Tierwelt hinzu; die Hauptrolle
spielen die in allen Farben schimmernden Papageien; wir finden ferner Fasanen,
Eisvögel und Wildenten; die Glucke mit ihren Kücken, der Uhu mit dem von ihm
geschlagenen Singvogel, Reiher, Rebhühner, Wachteln, Hasen, Affen und allerlei
sonstiges Getier wechseln in unabsehbarer Folge. Schwertlilie, Klatschmohn, Rosen
und Knospen, blaue und weiße Winden, Fingerhut, Stiefmütterchen, Veilchen, Gänse-
blümchen mischen sich mit üppigem Weingerank; blaue und grüne Trauben
schimmern neben Zitronen, aufgebrochenen Granatäpfeln, Kürbissen, Gurken; Erd-
beer- und Brombeergerank, Erbsenschoten, Äpfel, Birnen, rote und blaue Pflaumen
erhöhen den farbigen Reiz. Der Anklang an den Ursprung, den Bilderrahmen, tritt mit
dem weiteren Ausbau dieser prächtigsten aller Renaissancebordüren immer mehr in
den Hintergrund. Das schillernde Gewinde, der Zusammenschluß von Pflanzen- und
Tiermotiven wird so eng, daß schließlich die tiefe Hohlkehle überwuchert wird; der
Palmstrunk verliert als struktives Moment seine Bedeutung. Ähnlich wie bei der
früheren Rosen-Trauben-Fassung füllt nun in breiter Wucht Fauna und Flora die ge-
samte Fläche. Malerisch verschlungene blaue, weiße oder rote Schleifen bändigen in

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