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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0497
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Antwerpen

Antwerpen.

Der Niederbruch der mittelalterlichen Städtewirtschaft, der in den flandrischen Un-
ruhen im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts sich lebhaft wiederspiegelt, die beginnende
Entfaltung des Kapitalismus, das Erwachen der Großindustrie, machen das durch seine
maritime Lage besonders begünstigte Antwerpen zum Mittelpunkte des Welthandels.
Die Entdeckung der neuen Welt, die den alten Handelszentren Italiens den Todesstoß
versetzt, bedeutet für Antwerpen den Beginn einer glänzenden Blüte. Brügge, der
einzige, beachtenswerte Konkurrent, scheidet aus. Der schwer offen zu haltende Brügger
Hafen versandet völlig; den Rest gibt der alten Handelszentrale der schlecht vor-
bereitete und unglücklich verlaufene Aufstand von 1488. Der Stapelzwang Brügges
ist illusorisch geworden. Die Hanse, bisher auf das engste mit dem Wohl und Wehe
Brügges verbunden, verlegt 1545 ihr Kontor nach Antwerpen. Die neue Metropole
steht bereits zu Ende des 15. Jahrhunderts in lebhafter Fühlung mit den maßgebenden
ausländischen Handelsfaktoren. Die englische Einfuhr an ungefärbten Tuchen und
Kerseyes — leichte Gewebe — bringt der Stadt einen ungeahnten Aufschwung. Die
Färbereibetriebe, die von altersher in Antwerpen einen guten Ruf genießen, erfahren
einen weitgehenden Ausbau. Hand in Hand hiermit gehen die Beziehungen zu Deutsch-
land, das in reichem Maße an der Lieferung von Färbemitteln, in erster Linie von
Waid, beteiligt ist. Auch die wohlfeile deutsche Wolle, die sich naturgemäß mit den
spanischen und englischen Erzeugnissen nicht messen kann, kommt für die gröberen
Arbeiten in starkem Umfange zur Verwendung. Die Ateliers von Antwerpen und
Oudenaarde sind willige Abnehmer.

Der Niederbruch der alten städtischen Tuchindustrie Flanderns zwingt mit eiserner
Notwendigkeit zur Erschließung neuer Erwerbsquellen. Die Leinwandbereitung, die
vom platten Lande aus ihren Siegeszug antritt, und die Bildteppichwirkerei der Städte
suchen einen Ausgleich zu erreichen, der in glücklichster Weise durch die nieuwe
draperie, die Fabrikation leichter Stoffe aus spanischen Wollen, gekrönt wird. Alle
diese Produkte finden ihren Sammelpunkt in der neuen Handelszentrale Antwerpen.
Die liberalen und zugleich kapitalistischen Anschauungen der Stadt verdammen von
vornherein das Brügger Prinzip der übertrieben hohen Maklergebühren, das den
Tapisseriehändlern den alten Stapelplatz gründlich verleidete. Antwerpen sorgt in
entgegenkommenster Weise für Niederlags- und Ausstellungsräume. Es entsteht die
„tapesierspant", eine Einrichtung, die sich Jahrhunderte hindurch glänzend bewährt.
Die Organisation arbeitet im wesentlichen nach den Grundsätzen, die beim Tuchhandel
maßgebend sind. Der Verkauf erfolgt durch Vermittlung vereidigter Makler; die per-
sönliche Fühlungnahme zwischen Produzent und Konsument ist in den ersten Zeiten
der Einrichtung nur selten zu beobachten. Der freiere Zug, der zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts den Handel belebt, der Ausbau des Kreditwesens, das Hervortreten kapital-
kräftiger Handelshäuser, wie, das der Fugger u. a., wandeln in verhältnismäßig kurzer
Zeit die Halle zu einer Art Börse. Das System der vereidigten Makler bleibt, wenn
auch in veränderter Form, bestehen.

In den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts sind die Räume der Teppichpant
in den Galerien am Chor der Dominikanerkirche untergebracht. Die Instandsetzungs-
arbeiten des Gotteshauses (1549) machen das Niederreißen der alten Galerien zur Not-
wendigkeit. Längere Verhandlungen setzen ein; zwei königliche Bevollmächtigte
werden ernannt; schließlich erwirbt der Antwerpener Rat 1550/51 ein umfangreiches
Gelände von der Verwaltung des St. Elisabethenhospitals, von der Bogenschützen-
brüderschaft und aus anderem Besitze. Der Neubau schreitet verhältnismäßig rasch
fort. 1555 wird die neue Pant eröffnet. Die Bauanlage besteht aus einer doppelten
Galerie zum Auslegen und Stapeln der Wirkereien und einer größeren Zahl an-

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