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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0540
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Lille

(2 und 1) auf schwarzem Grunde und die Legende: Tarn marte quam manu. Beide
Behänge sind voll signiert: G. WERNIER. (Lilie) 1703.

Nach einer Notiz im Kataloge der Liller kirchlichen Ausstellung von 1874 soll Wil-
helm Werniers für die Herstellung der beiden Teppiche den Betrag von 540 Gulden
erhalten haben.

Nach Houdoy ist als Patronenmaler Arnold de Wuez bezeugt; ein Karton befindet
sich im Liller Rathause.

Das rasche Aufblühen des Werniersschen Ateliers verlockt naturgemäß auch andere
Wirker, in dem Hauptorte von Französisch-Flandern ihr Glück zu versuchen. Der Rat
erweist sich stets entgegenkommend; seine Taktik besteht im wesentlichen darin, zu-
nächst den betreffenden Unternehmer in der Stadt ansässig zu machen, die weitere
Regelung der Subvention dann der Zukunft zu überlassen. Zu Ende der achtziger
Jahre des 17. Jahrhunderts tritt Ferdinand Marlier aus Tourcoing an den Magistrat
heran; er nennt sich „ouvrier en tapisserie et imitation de haute lisse, carpette, mou-
quette et aultre". Der vielseitige Herr, dessen Werkstatt der Liller Rat mit einer
Jahresbeihilfe von 300 fl. unterstützt, war kein W irker im eigentlichen Sinne. Er stellt
die vielfach als Ersatz für Wirkteppiche benutzten Bergamewebereien her, die sich unter
der Bezeichnung „tapisseries der Bergame" häufig in den zeitgenössischen Inventaren
finden und des öfteren eine gründliche Verwirrung in der Beurteilung der verschie-
denen Ateliers verursachten. Man kennt im 17. Säkulum Bergamebehänge aus Rouen,
Elbeuf, Tournai, Beauvais und verschiedenen anderen Orten Nordfrankreichs, die
kurzerhand als tapisseries de Rouen, Beauvais usw. angeführt werden. Ähnlich ver-
hält es sich mit der von Marlier beabsichtigten Imitation von Hautelissearbeiten. Handelt
es sich um eine billige Nachahmung der Hautelisseweberei von Amiens — Gewebe
mit seidener Kette und Wolleneinschlag, bisweilen auch ganz aus Seide —, oder
strebt der Meister den Ersatz echter Wandteppiche an. Auch die letztere Möglichkeit
ist nicht ausgeschlossen. Auf die verschiedenen Praktiken des näheren einzugehen ist
an dieser Stelle kein Raum. Die Erwähnung einer guten und einer schlechten Methode
mag genügen. Das einfachste und künstlerisch einwandfreieste Verfahren bestand
darin, das betreffende Motiv — Bild und Bordüren — in Patronentechnik, d. h. in An-
lehnung an die durch die Wirkerei bedingte Darstellung der Farbenübergänge, auf
starkkettigen Seidenrips zu malen. An eine Fälschung, allerdings recht plumper Art,
erinnert die in Rouen und in der Pariser Vorstadt Saint-Antoine geübte Methode.
Der Maler trägt nach und nach das Bild auf. Er verwendet mit Terpentin versetzte
Ölfarben. Sobald die Farbe einzutrocknen beginnt, tritt der „tapissier lainier" in
Tätigkeit, er streut feingemahlenen Wollstaub in der gleichen Tönung. Das Verfahren
ist verhältnismäßig einfach, allerdings wenig dauerhaft. Die Erzeugnisse vertrugen
schlecht das Rollen und den Witterungswechsel, sie gehören heutzutage zu den größten
Seltenheiten.

Die in Lille von Deslobbes 1714 gegründete Manufaktur beschäftigte sich lediglich
mit der Herstellung von stoff- und plüschartigen Bezügen und Fußteppichen. Johann
Heinrich Beer und Wilhelm Beer, zwei deutsche Maler, machen 1723 eine Manufaktur „de
tapisseries ä la facon de haute-lisse" auf. Es handelt sich augenscheinlich um einen
Imitationsbetrieb der geschilderten Art.

Erst in den vierziger Jahrentritt wieder ein regelrechter Wirker, Jean Francois Bouche, in
Erscheinung. Er arbeitet „ä la facon des Gobelins et de Bruxelles", d. h. er beherrscht sowohl
die hoch- als auch die tieflitzige Technik. Die Begründung, die er seinem Subventions-
gesuche beifügt, ist nicht ohne Interesse. Er führt mit beredten Worten die Notwendig-
keit einer neuen lebensfähigen Manufaktur dem hohen Rate vor Augen, die Witwe des
Wilhelm Werniers vernachläßige das altberühmte Atelier ihres verstorbenen Mannes,
einen Teil ihrer Gesellen habe er bereits in seinem Betriebe eingestellt. Der Magistrat
möge sich baldigst schlüssig werden, da andere Stadtverwaltungen mit günstigen An-
geboten an ihn herangetreten seien. Der Rat hält die Angelegenheit für weniger
dringend und lehnt das Ersuchen Bouch6s ab. Der Meister wählt den alten, schon

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