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Lille

zeichnet. Der zweite Teppich zeigt Bacchus und Ariadne, der dritte die Blumen-
krönung Amors durch Psyche. Die Signierung des zweiten Stückes stimmt mit der
des ersten überein, die des dritten zeigt lediglich die Initialen G. W.

Von einer weiteren, von Houdoy erwähnten Folge unseres Meisters — acht Tep-
piche —, die Episoden aus der Geschichte Don Quijotes in Nachahmung der Brüs-
seler, nicht der Gobelinsserie schildert, sind mir Wiedergaben nicht zu Gesicht ge-
kommen.

Die einzige Wappenwirkerei der Liller Manufaktur besitzt das Museum von Bailleul
(Nordfrankreich). Es handelt sich um eine Nachempfindung der bekannten Gobelins-
portieren. Sie zeigt das von Genien gehaltene französische Hoheitszeichen auf blauem
mit Lilien übersätem Grunde in geschmackvoller Zusammenfassung mit den Familien-
wappen derer von Phalempin, Cysoing, Wavrin und Comines, der Gerichtsherrn des
Bannbezirkes Lille. Ursprünglich hatte der Magistrat beabsichtigt, den von Parent
entworfenen Teppich für das Rathaus zu erwerben. Der Ankauf scheitert an den zu
hohen Herstellungskosten. Werniers setzt sich mit den Gerichtsherren, die der Frage
der Neuausstattung des Sitzungssaales das lebhafteste Interesse entgegenbringen, in
Verbindung. Die ursprünglich vorgesehenen Hoheitszeichen der Stadt und des Pro-
vinzialstatthalters werden durch die Wappen der „hauts-justiciers" ersetzt.

Außer diesen zahlreichen profanen Reihen, die sich bei weiteren Untersuchungen
noch vermehren werden, fertigte Werniers verschiedentlich auch religiöse Tep-
piche. Die zweifellos beste Folge, Bilder aus dem Leben des Heilandes, arbeitete der
Meister 1735 für Francoise Lachez, die Witwe des Michael Freco. Die fromme Dame
stiftete die Behänge der Erlöserkirche zu Lille. Die Serie bestand aus sechs Teppichen,
sie schmückte 1772 den Chor und wurde, wie so viele andere Kunstschätze, ein Opfer
der großen Revolution. Glücklicherweise ist die Reihe nicht verloren gegangen. Die
„Hochzeit von Kanaan" besitzt gegenwärtig die Kirche zu Asq. Sie trägt in der W^irk-
kante die Signierung G. WERNIERS. LILLE. (Lilie) EN FLANDRE. 1735, die sich in
den anderen Behängen der Reihe wiederholt. Die Bordüre zeigt reiche, mit Blumen
und Blattwerk durchflochtene Ranken im Stile Berains. Ein stark zerschnittenes Frag-
ment mit der noch erhaltenen Widmung der Stifterin: „Francoise Lachez, veuve de
Michel Freco, a donne ces six pieces de tapisseries. 1735" verwahrt das Altertums-
museum zu Lille. „Jesus läßt die Kindlein zu sich kommen" und „Christus verzeiht
der Sünderin" befindet sich im Liller Privatbesitz. „Das Wunder der Brote" hängt
in der Kirche zu Fresnes. Das sechste, vielleicht schönste Stück, das „Abendmahl",
tauchte um 1910 im deutschen Kunstbesitze auf.

Zeitlich früher entstanden zwei Bildteppiche mit der Geschichte Johannas von Kon-
stantinopel, die im Jahre 1703 ein frommer Stifter, dessen Wappen und Legende:
„Oculi mei Semper ad Dominum" die Wirkereien tragen, dem Gräfinhospital über-
wies. Die Teppiche befanden sich noch 1795 an ihrem ursprünglichen Orte, durch
Zufälle irgend welcher Art gelangten sie in den Besitz des Erlöserhospitals. Es handelt
sich um vortreffliche Arbeiten aus der Frühzeit der Werniersschen Manufaktur. Neben
Balduin von Flandern — in vollem kaiserlichen Ornate — thront seine Gattin Maria,
ihr zu Füßen ruhen die Töchter Johanna und Margarete. Die Inschrift des Säulen-
sockels bringt die erklärende Legende in großen lateinischen Buchstaben: „Beauduin
Ier au nom empereur de Constantinople, comte de Flandre, de Hainaut. Marie de
Champagne son epouse. Jeanne de Constantinople, Marguerite de Flandre leurs filles".

Die reich durchgeführte Bordüre trägt außer dem Wappen Balduins I. das des
Stifters: ein goldener Sparren auf blauem Grunde, zwei Sterne und ein Hase, gleichfalls
in Gold. Der zweite Teppich zeigt Johanna von Konstantinopel, zur Rechten und Linken
ihre beiden Gatten Ferdinand von Portugal und Thomas von Savoyen. Die Legende
erklärt die Beziehung der flandrischen Fürstentochter zu dem Hospital. „Jeanne de
Constantinople, comtesse de Flandre, fondatrice de cette maison, 1235". Als Stifter-
wappen — wohl das der Ehefrau — erscheinen drei silberne Panzerhandschuhe

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