E n g h i e n
Gesellen nach Tournai über; die Stadt kommt ihm in weitestgehender Weise durch
Gewährung von Zuschüssen und sonstigen Vorteilen entgegen. Der Hauptsache nach
fertigt Johann Oedins Verdüren und Tafelteppiche. Am 8. August 1685 schließt der
letzte Wirker von Enghien, Nikolaus van den Leen, sein Atelier; er überweist alle
flechte und Einkünfte der erloschenen Zunft der Bruderschaft unserer Lieben Frau
und den Stadtarmen mit dem Vorbehalte der Rückerstattung, sofern die Wirkerei in
der Stadt wieder aufleben sollte.
Einige Jahre später (1691 oder 1692) besucht ein Pariser Meister im Auftrage seiner
Zunft die maßgebenden flämischen Wirkerstädte, unter anderem auch Enghien: «Celle
(manufacture) d'Anguien a beaucoup ete dans ses commencements pour les personnages,
qui ont toujours et6 tres mal dessinez. Cette fabrique est devenue fort attenuee et
tres-aride: un de leurs deffauts ordinaires est de mal monter leurs ouvrages, ce qui
est cause que leurs chaines ne sont pas bien couvertes. Leurs verdures sont passa-
bles, quoique toujours travaillees dans un certain goüt antique qui en diminue bien
le prix".
Die Beurteilung erscheint im großen und ganzen, entsprechend der damaligen Ge-
schmacksauffassung, gerecht.
In Figurenteppichen hat Enghien augenscheinlich den hohen künstlerischen Stand,
der seinen Verdüren eignet, nicht erreicht. Immerhin sind mehrfach Verkäufe von
Figurenwirkereien urkundlich belegt. So liefert Heinrich van den Gammen 1642 an
den Statthalter von Winendaele, Ludwig Spinola, zwei Wirkereizimmer mit der Ge-
schichte Alexanders des Großen — 234 Quadrat eilen — zum Einheitspreise von 8 Gulden.
Der Verkauf besagt nicht ohne weiteres, daß die Folge tatsächlich in Enghien gefertigt
war; Heinrich van der Cammen war sowohl Händler wie Wirker. Die Angaben
Contis(13), der von einem Behänge aus der Geschichte Samsons mit der Marke Enghiens
im Besitze eines Herrn Constantin Morocchi in Florenz spricht, sind zu unbestimmt
gehalten, um einen klaren Begriff über die Güte der Arbeit zu übermitteln; vortreff-
lich scheint die Bordüre gewesen zu sein. Casier erwähnt eine Enghiener Bildwirkerei —
Herkules im Kampfe mit Cacus — im Besitze der Pariser Sammlung Schutz, die 1913
auf der Genter retrospektiven Ausstellung erschien (14). Auch die zeitgenössischen In-
ventare sind recht zurückhaltend hinsichtlich der Enghiener Figurenwirkereien.
Einen signierten Enghiener Behang — der Sturz Phaetons (Abb.477) — vermag die Samm-
lung des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg aufzuweisen. Der Teppich — 4,26 m
hoch, 7,21 m lang — trägt sowohl die Stadt- als auch eine bislang ungeklärte Meister-
marke. Die Komposition ist nicht sonderlich glücklich, die technische Durchführung
erreicht das Mittelmaß der gleichzeitigen Brüsseler Behänge. Vorzüglich ist die Wieder-
gabe des Hintergrundes und die Lösung der Bordüre. Die Durchbildung der Gesichter
läßt zu wünschen übrig.
Die Tatsache, daß die Münchener Manufaktur des Hans van der Biest hervorragende
Bildteppiche erzeugte — das abfällige Urteil von Müntz trifft in keiner Weise zu —
bringt nicht ohne weiteres den Beweis, daß der Meister ein glänzender Figurenwirker
war. Es erscheint zweifelhaft, ob van der Biest wirklich der ausschlaggebende Anteil
an den Arbeiten zuzusprechen ist, oder ob nicht den später zugewanderten Brüsseler
Wirkern das Hauptverdienst zukommt. Das „Verzeichnus" von 1612 stimmt zum
mindesten bedenklich (15). „Gleich zu seiner ankhonnfft aber habe man baldt be-
funden, das er nit der Jhenige Maister, für welchen er sich praeiudiciert. In massen
er zu bekhennen, das Ime an der angefanngnen arbeith auch zugleich anfangen zu
grausen, die arbeith mit seinen gesellen, so maistens Bueben gewest, zuuerrichten nit
getrauet, mit fürgeben, das dergleichen Arbeith Irer F. Dht. Gndstem. willen nach in
dem Niderlandt nit in gebrauch.
In gleichem seine mit Ime gebrachte gesellen, welche die vnnderhannden gehabte
stuckh gar Khrumb auf ainer Seiten wol vbm ain spann lenger vnd auf der anndern
Khürzer ausgemacht, eben so wenig als der Maister selbst bestannden, welche doch
der bestallung nach wohl erfarne gesellen heten sein sollen.
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Gesellen nach Tournai über; die Stadt kommt ihm in weitestgehender Weise durch
Gewährung von Zuschüssen und sonstigen Vorteilen entgegen. Der Hauptsache nach
fertigt Johann Oedins Verdüren und Tafelteppiche. Am 8. August 1685 schließt der
letzte Wirker von Enghien, Nikolaus van den Leen, sein Atelier; er überweist alle
flechte und Einkünfte der erloschenen Zunft der Bruderschaft unserer Lieben Frau
und den Stadtarmen mit dem Vorbehalte der Rückerstattung, sofern die Wirkerei in
der Stadt wieder aufleben sollte.
Einige Jahre später (1691 oder 1692) besucht ein Pariser Meister im Auftrage seiner
Zunft die maßgebenden flämischen Wirkerstädte, unter anderem auch Enghien: «Celle
(manufacture) d'Anguien a beaucoup ete dans ses commencements pour les personnages,
qui ont toujours et6 tres mal dessinez. Cette fabrique est devenue fort attenuee et
tres-aride: un de leurs deffauts ordinaires est de mal monter leurs ouvrages, ce qui
est cause que leurs chaines ne sont pas bien couvertes. Leurs verdures sont passa-
bles, quoique toujours travaillees dans un certain goüt antique qui en diminue bien
le prix".
Die Beurteilung erscheint im großen und ganzen, entsprechend der damaligen Ge-
schmacksauffassung, gerecht.
In Figurenteppichen hat Enghien augenscheinlich den hohen künstlerischen Stand,
der seinen Verdüren eignet, nicht erreicht. Immerhin sind mehrfach Verkäufe von
Figurenwirkereien urkundlich belegt. So liefert Heinrich van den Gammen 1642 an
den Statthalter von Winendaele, Ludwig Spinola, zwei Wirkereizimmer mit der Ge-
schichte Alexanders des Großen — 234 Quadrat eilen — zum Einheitspreise von 8 Gulden.
Der Verkauf besagt nicht ohne weiteres, daß die Folge tatsächlich in Enghien gefertigt
war; Heinrich van der Cammen war sowohl Händler wie Wirker. Die Angaben
Contis(13), der von einem Behänge aus der Geschichte Samsons mit der Marke Enghiens
im Besitze eines Herrn Constantin Morocchi in Florenz spricht, sind zu unbestimmt
gehalten, um einen klaren Begriff über die Güte der Arbeit zu übermitteln; vortreff-
lich scheint die Bordüre gewesen zu sein. Casier erwähnt eine Enghiener Bildwirkerei —
Herkules im Kampfe mit Cacus — im Besitze der Pariser Sammlung Schutz, die 1913
auf der Genter retrospektiven Ausstellung erschien (14). Auch die zeitgenössischen In-
ventare sind recht zurückhaltend hinsichtlich der Enghiener Figurenwirkereien.
Einen signierten Enghiener Behang — der Sturz Phaetons (Abb.477) — vermag die Samm-
lung des Germanischen Nationalmuseums zu Nürnberg aufzuweisen. Der Teppich — 4,26 m
hoch, 7,21 m lang — trägt sowohl die Stadt- als auch eine bislang ungeklärte Meister-
marke. Die Komposition ist nicht sonderlich glücklich, die technische Durchführung
erreicht das Mittelmaß der gleichzeitigen Brüsseler Behänge. Vorzüglich ist die Wieder-
gabe des Hintergrundes und die Lösung der Bordüre. Die Durchbildung der Gesichter
läßt zu wünschen übrig.
Die Tatsache, daß die Münchener Manufaktur des Hans van der Biest hervorragende
Bildteppiche erzeugte — das abfällige Urteil von Müntz trifft in keiner Weise zu —
bringt nicht ohne weiteres den Beweis, daß der Meister ein glänzender Figurenwirker
war. Es erscheint zweifelhaft, ob van der Biest wirklich der ausschlaggebende Anteil
an den Arbeiten zuzusprechen ist, oder ob nicht den später zugewanderten Brüsseler
Wirkern das Hauptverdienst zukommt. Das „Verzeichnus" von 1612 stimmt zum
mindesten bedenklich (15). „Gleich zu seiner ankhonnfft aber habe man baldt be-
funden, das er nit der Jhenige Maister, für welchen er sich praeiudiciert. In massen
er zu bekhennen, das Ime an der angefanngnen arbeith auch zugleich anfangen zu
grausen, die arbeith mit seinen gesellen, so maistens Bueben gewest, zuuerrichten nit
getrauet, mit fürgeben, das dergleichen Arbeith Irer F. Dht. Gndstem. willen nach in
dem Niderlandt nit in gebrauch.
In gleichem seine mit Ime gebrachte gesellen, welche die vnnderhannden gehabte
stuckh gar Khrumb auf ainer Seiten wol vbm ain spann lenger vnd auf der anndern
Khürzer ausgemacht, eben so wenig als der Maister selbst bestannden, welche doch
der bestallung nach wohl erfarne gesellen heten sein sollen.
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