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E n g h i e n

Solcher gestalt ist durch Ine Maister selb, sowol als seine gesellen, mer als ain stuckh
verderbt worden, sohernach widerumben von Neuem muessen gemacht werden..."

Die Ersten seine mitgebrachte gesellen seien so vnabgericht gewesen, das man thails
derselben die Bayrische history nit vnderhannden geben, vnnd dieselben vertrauen
derffen, sonnder andere stuckh als die Groteskhen muessen anfangen zu machen, die-
selben allererst darinn abzurichten."

Der letzte Absatz berührt das eigentliche Arbeitsgebiet der Enghiener Wirker, die
Grotesken und Yerdürenteppiche. So umstritten die Qualität der Figurenwirkerei
Enghiens sein mag, so unzweifelhaft ist die Güte der Verdüren, die sich durchaus mit
den gleichzeitigen Erzeugnissen Brüssels zu messen vermögen. Der von dem Pariser
Wirker beanstandete veraltete Zug in Zeichnung und Auffassung tut der Frische und
Urwüchsigkeit der Behänge keinerlei Abbruch, wenn er auch in den Augen eines Zeit-
genossen ein Fehler gewesen sein mag. Signierte großblättrige Verdüren der Manu-
faktur Enghien sind nicht allzu selten. Einige hervorragende Stücke eigenen der öster-
reichischen Staatssammlung (Abb. 476) (16). Stark Brüsseler Gepräge verrät eine Folge,
die George Leland Hunter in seinen «Tapestries" — Seite 265 — bringt. Inmitten des
Pflanzenwerkes tummeln sich nackte, spielende Kinder. Die Mittelpartie nimmt eine
Vase ein; auf den schmiedeeisenartig anmutenden Renaissancebändern, die die bunte
Fülle fassen und gliedern, klettern Affen; zwei mächtige Fruchtgehänge bilden den
oberen Abschluß. Die Bordüre zeigt üppiges Blumen- und Blattwerk. Die Durchführung
ist schlechthin erstklassig. Von den fünf Behängen der Reihe tragen zwei das Zeichen
von Enghien und die Meisterinitiale I C, die übrigens auch auf einem Behänge der
zeitlich früheren Enghiener Serie von Schloß Vrigny bei Pithiviers (Loiret) erscheint.
Inmitten des durch einen Palisadenzaun markierten „verger d'honneur" hält ein mit
dem Turnierhelm bedeckter Löwe das Schild des Hennegauer Geschlechtes der Jauche.
Vier Banner — Masmines, Jauche, Lannoy-Moiembais, Berlaimont-Floyon — recken
sich aus der Umwehrung. Blühende Stauden — Schwertlilien, Winden, Primeln,
Disteln u. a. — decken den Grund, Blattwerk und Blumen füllen die Bordüre. Ver-
mutlich wurde die Folge, von der ein intaktes Stück und ein Fragment sich erhalten
haben, für den 1535 verstorbenen Anton de Jauche, Herrn von Mastaing, Bailli von
Enghien, gefertigt. Der Eindruck ist etwas archaistisch; als Atelier kommt die Werk-
statt des Peter van der Cammen in Frage, dessen Marke gleichfalls auf einer zeit-
genössischen Verdüre — Diana auf der Jagd — erscheint (17).

Enghien krankt an einem großen Mangel, der namentlich die Figurenwirkerei stark
erschwert, es fehlt an geeigneten Patronenmalern.

Aller Wahrscheinlichkeit nach erwarben die Wirker von Enghien den größten Teil
ihrer Vorlagen in Antwerpen. Die Unkosten waren, namentlich für die kleineren Manu-
fakturen, nicht unbeträchtlich, so daß naturgemäß die kostspieligen Figurenteppiche,
die sich nur in den größeren Betrieben durch die ständige Wiederholung bezahlt machten,
nach Möglichkeit vermieden wurden. Die Verdürenpatronen stellten sich erheblich
billiger; die Teppiche waren leichter zu wirken, der Absatz ging rasch von statten.
In noch höherem Maße treffen diese Vorteile für die Kleinwirkereien, die Wiegen-
decken und Kissenblätter, die «engiensche fruytcussens", zu. Einen erstklassigen Tafel-
teppich aus der Manufaktur des Heinrich van der Cammen besitzen die Brüsseler Musees
Royaux du Cinquantenaire. Goldgelbe Ranken auf blauem Grunde fassen ein prächtiges
zwölfpassiges Mittelstück, in dem Früchte und Blumen in künstlerisch und farben-
technisch vollendeter Durchführung prangen. Die Bordüre bringt Fruchtgehänge, die
in den Ecken durch Medaillons mit Büsten, in den Mitten durch Wappenschilder —
das Hoheitszeichen des Gouverneurs der Stadt, Albert de Tamison (f 23. September
1657) und Landschaften ihren struktiven Halt finden (18).

Die Manufaktur marke Enghiens ist dem Stadtwappen entnommen (19). Die Signatur
besitzt gewisse Ähnlichkeit mit dem Brüsseler Zeichen.

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