Paris
1487 findet der Pariser Tapisseriehändler Michel de Chamans in den Rechnungs-
belegen der Krone Erwähnung. Die acht Behänge, die Karl VIII. erwirbt, fassen
761/» Quadratellen „de tapisserie de Flandres, a Bergeries assises sur verdure" —
Gartenteppiche mit liebelnden Schäferpaaren —, sie stellen sich auf 419 Livres 16 Sous
3 Deniers. Im übrigen sind die Kammerrechnungen in den Zeiten Karls VIII. und
Ludwigs XII. so mangelhaft geführt oder erhalten, daß der Rückschluß, in Paris sei zu
Ende des 15. Säkulums die Bildwirkerei gänzlich erloschen, nicht ohne weiteres zu
rechtfertigen ist. Die Namen der königlichen Tapissiers, der Aufseher des staatlichen
Textilienschatzes, die sich im wesentlichen nur mit Ausbesserungsarbeiten befaßten —
Bernard Prost bringt sie seit dem Jahre 1438, J. Guiffrey seit 1468 (96) — übergehe ich,
sie sind für die Geschichte der Bildwirkerei bedeutungslos.
Zu Beginn des 16. Säkulums eröffnet Allardin de Souyn in Paris eine Werkstatt,
der zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Der Meister
steht mit dem kunstsinnigen Erzbischof von Sens, Jean de Salazar (1475—1519), in
engster geschäftlicher Verbindung (97). Der Vertrag vom 17. Juni 1507, abgeschlossen
zwischen dem Meister — Souyn betreibt sein Atelier in dem Pariser Stadthause des
Erzbischofs in der nie du Figuier — und dem ersten Präsidenten der Rechnungs-
kammer Jehan Nicolay, befaßt sich mit der Anlieferung zweier reich gewirkter zu-
sammengehöriger Altarbehänge „de la largeur de ceulx que luy mesmez (Souyn) a faiz
de son mestier ä Saint-Victor, servans au grant hoste], qui sont de trois quartiere et
demi de exancemens et, pour la longueur deux aulnes . . Der Hinweis auf das für
die St. Victorkirche gelieferte Antependium dürfte sich auf Saint-Victor-Lacoste (bei Uzes)
beziehen. Der Gekreuzigte nimmt das Haupt- und Mittelfeld ein, zur Rechten trauert
die Madonna, zur Linken steht Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn, eine blumige
Wiese deckt den Boden „sur une terrasse semee de verdure". Mit Perlen und Steinen
übersäte Pfeiler fassen das Bild, zwei kleine seitliche Darstellungen, gleichfalls durch
Pfeiler gerahmt — die heilige Magdalena neben der Madonna, der gewappnete Sankt
Victor neben Johannes — schließen sich rechts und links an. Entsprechend ist die
Lösung des zweiten Behanges zu Füßen des Altares: „Et le bas de l'autel y ara (aura)
ung peler d'orfövrie, et ung autre empres, ou sera Sainct Pierre et Sainct Poule (Paulus),
habilles en apostres tous deux, et au millieu St. Victor habille en armes, comme dessus,
et le champ (das blühende Feld) comme dessus est en l'autre, et mes armes (das
Wappen Nicolays) aux coingz, tant hault que bas. Et aussi me fera deux couvertes
ä cofrez de hautelisse estoffäe de bonne et fine layne en troys, de quoy le champ
sera de rouge, et les bordeures sera le champ de pers, entre deux bouchelez d'or fait
par carreaux, des rolles blanc, et ma devise dedans escript; et y aura dedans le champ
de rouge mes armes ä timbre ainsi que le luy ay monstre par deviz, et y aura quatre
potiz escussons de mes armes aux quatre coingz de rouge, et sera ledict champ
remply de branchez de verdure et de fleurs. Lesdictes quatre piesses tout ensemble
pour ie pris et somme de quarante sinq (cinq) livres tournoiz . . Die Bestimmungen
des Vertrages lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; sie schildern ungewöhn-
lich ausführlich die dekorative Lösung der Altarbehänge, die in ihrer Eigenart übrigens
nicht typisch französisch sind. Das Motiv der durch Pilaster oder Säulen getrennten
Heiligen findet sich auch in gleichzeitigen flämischen Antependien und Ghorbehängen;
die heraldischen Wirkereien erinnern stark an die gleichzeitigen Arbeiten der soge-
nannten Tourainer Gruppe.
Keinesfalls sind die beiden prächtigen Altarbehänge im Domschatz zu Sens (Anbetung
der Könige, die drei Krönungen), die um 1480 im Auftrage des Erzbischofs von Lyon,
Charles de Bourbon (gest. 1488), entstanden sein dürften, die mehrfach in der franzö-
sischen Literatur (98) Souyn zugeschrieben wurden, aus zeitlichen und stilistischen
Gründen dem Meister zu überweisen.
Die Kathedrale zu Sens besitzt ein drittes Antependium; eine ausreichende Wieder-
gabe war mir leider nicht erreichbar; ich muß mich auf die Notizen von Montaiglon
und Chartraire beschränken (99). Im Mittelbilde kniet die Madonna, in den dunkel-
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1487 findet der Pariser Tapisseriehändler Michel de Chamans in den Rechnungs-
belegen der Krone Erwähnung. Die acht Behänge, die Karl VIII. erwirbt, fassen
761/» Quadratellen „de tapisserie de Flandres, a Bergeries assises sur verdure" —
Gartenteppiche mit liebelnden Schäferpaaren —, sie stellen sich auf 419 Livres 16 Sous
3 Deniers. Im übrigen sind die Kammerrechnungen in den Zeiten Karls VIII. und
Ludwigs XII. so mangelhaft geführt oder erhalten, daß der Rückschluß, in Paris sei zu
Ende des 15. Säkulums die Bildwirkerei gänzlich erloschen, nicht ohne weiteres zu
rechtfertigen ist. Die Namen der königlichen Tapissiers, der Aufseher des staatlichen
Textilienschatzes, die sich im wesentlichen nur mit Ausbesserungsarbeiten befaßten —
Bernard Prost bringt sie seit dem Jahre 1438, J. Guiffrey seit 1468 (96) — übergehe ich,
sie sind für die Geschichte der Bildwirkerei bedeutungslos.
Zu Beginn des 16. Säkulums eröffnet Allardin de Souyn in Paris eine Werkstatt,
der zweifelsohne eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt. Der Meister
steht mit dem kunstsinnigen Erzbischof von Sens, Jean de Salazar (1475—1519), in
engster geschäftlicher Verbindung (97). Der Vertrag vom 17. Juni 1507, abgeschlossen
zwischen dem Meister — Souyn betreibt sein Atelier in dem Pariser Stadthause des
Erzbischofs in der nie du Figuier — und dem ersten Präsidenten der Rechnungs-
kammer Jehan Nicolay, befaßt sich mit der Anlieferung zweier reich gewirkter zu-
sammengehöriger Altarbehänge „de la largeur de ceulx que luy mesmez (Souyn) a faiz
de son mestier ä Saint-Victor, servans au grant hoste], qui sont de trois quartiere et
demi de exancemens et, pour la longueur deux aulnes . . Der Hinweis auf das für
die St. Victorkirche gelieferte Antependium dürfte sich auf Saint-Victor-Lacoste (bei Uzes)
beziehen. Der Gekreuzigte nimmt das Haupt- und Mittelfeld ein, zur Rechten trauert
die Madonna, zur Linken steht Johannes, der Lieblingsjünger des Herrn, eine blumige
Wiese deckt den Boden „sur une terrasse semee de verdure". Mit Perlen und Steinen
übersäte Pfeiler fassen das Bild, zwei kleine seitliche Darstellungen, gleichfalls durch
Pfeiler gerahmt — die heilige Magdalena neben der Madonna, der gewappnete Sankt
Victor neben Johannes — schließen sich rechts und links an. Entsprechend ist die
Lösung des zweiten Behanges zu Füßen des Altares: „Et le bas de l'autel y ara (aura)
ung peler d'orfövrie, et ung autre empres, ou sera Sainct Pierre et Sainct Poule (Paulus),
habilles en apostres tous deux, et au millieu St. Victor habille en armes, comme dessus,
et le champ (das blühende Feld) comme dessus est en l'autre, et mes armes (das
Wappen Nicolays) aux coingz, tant hault que bas. Et aussi me fera deux couvertes
ä cofrez de hautelisse estoffäe de bonne et fine layne en troys, de quoy le champ
sera de rouge, et les bordeures sera le champ de pers, entre deux bouchelez d'or fait
par carreaux, des rolles blanc, et ma devise dedans escript; et y aura dedans le champ
de rouge mes armes ä timbre ainsi que le luy ay monstre par deviz, et y aura quatre
potiz escussons de mes armes aux quatre coingz de rouge, et sera ledict champ
remply de branchez de verdure et de fleurs. Lesdictes quatre piesses tout ensemble
pour ie pris et somme de quarante sinq (cinq) livres tournoiz . . Die Bestimmungen
des Vertrages lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; sie schildern ungewöhn-
lich ausführlich die dekorative Lösung der Altarbehänge, die in ihrer Eigenart übrigens
nicht typisch französisch sind. Das Motiv der durch Pilaster oder Säulen getrennten
Heiligen findet sich auch in gleichzeitigen flämischen Antependien und Ghorbehängen;
die heraldischen Wirkereien erinnern stark an die gleichzeitigen Arbeiten der soge-
nannten Tourainer Gruppe.
Keinesfalls sind die beiden prächtigen Altarbehänge im Domschatz zu Sens (Anbetung
der Könige, die drei Krönungen), die um 1480 im Auftrage des Erzbischofs von Lyon,
Charles de Bourbon (gest. 1488), entstanden sein dürften, die mehrfach in der franzö-
sischen Literatur (98) Souyn zugeschrieben wurden, aus zeitlichen und stilistischen
Gründen dem Meister zu überweisen.
Die Kathedrale zu Sens besitzt ein drittes Antependium; eine ausreichende Wieder-
gabe war mir leider nicht erreichbar; ich muß mich auf die Notizen von Montaiglon
und Chartraire beschränken (99). Im Mittelbilde kniet die Madonna, in den dunkel-
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