Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Editor]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0424
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
M a n t u a

Die Folge, 1878 von dem damaligen Eigentümer Charles Ephrussi im Pariser Trocadero
ausgestellt, ging in den Besitz des Barons Worms über und gelangte mit dem Nach-
lasse der Antwerpener Sammlerin A. Cahen am 14. Mai 1920 in Paris erneut zur Ver-
steigerung (18). Die Beihe umfaßte ursprünglich zehn Behänge, die noch vollständig
1661 und 1668 in den Yermögensaufstellungen des Hauses Gonzaga erscheinen.

Eine zweite Serie der „spielenden Kinder" (sechs Behänge) — um eine Abtrennung der
ersterwähnten umfangreicheren Folge dürfte es sich kaum handeln — findet gelegent-
lich der Vermählung Herzog Ferdinand Karl's mit der Tochter Ferrante's III. Gonzaga,
des Herzogs von Guastalla, in dem Mantuaner Textilienschatze Aufnahme.

Die sechs Behänge der ehemaligen Sammlung Cahen sind gold- und silberdurch-
wirkt, sie tragen das Wappenschild des Bestellers — oben in der Mitte —, überdacht
von dem Kärdinalshute; die Inschrift des Köchers, den der im Vordergrunde der
„Venusbarke11 ruhende Putto hält, zeigt, nennt:

HER(cules)

MAN(tuanus).

Die engste Verwandtschaft mit den zur gleichen Zeit (um 1540) in Ferrara ausgeführ-
ten Folgen ist unverkennbar. Im ersten Behänge ruht die Gondel der Venus — die
Liebesgöttin sitzt am Steuer — unter üppigem Frucht- und Laubdach; die Putten, die
das Fahrzeug füllen, treiben neckisches Spiel, sie ziehen die Netze an Bord, ein kleiner
geflügelter Bursche packt einen riesigen Fisch. Am Ufer tummeln sich langbeinige
Störche, im Hintergrunde wiegen sich Barken auf dem leichtbewegten Meere, auf
einer schmalen Landzunge weidet Vieh, ein Gefährt rollt über die holperige Straße,
in den Lüften schwirren buntfarbige Paradiesvögel, auf welche die Putten, die auf dem
weinumspönnenen Laubdach des Trieders hocken, mit Bogen und Pfeil Jagd machen
(19). Der Teppich mißt in der Höhe 3,60 m, in der Länge 4,20 m. Abb. 358 illustriert
das Kugelspiel (H. 3,50 m, L. 3,70 m); Abb. 359 den Reigen (H. 3,50 m, L. 4,10). Im
vierten Teppich der Folge betätigen sich die Putten als Fischer, wieder wölbt sich
über ihnen das wein- und fruchtübersponnene Laubdach, eine Einfriedigung mit
offener Pforte schließt den Vordergrund, eine bergige Landschaft füllt den Fond
(H. 3,50 m, L. 3,70 m).' Die beiden letzten Behänge sind Zwischenfensterstücke,
mit stärkerer Wahrscheinlichkeit Fragmente eines großen Teppichs: Putten drehen
sich im Reigen, zwei kleine Burschen schleppen schwer an einer mächtigen Traube,
ein Kater spaziert schnurrend auf dem von Blattwerk überzogenen Gitter (H. 3,35 m,
L. 1,00 m; H. 3,54 m, L. 1,05 m). Bordüren sind in keinem Falle vorhanden; die Dis-
position des Wappenschildes legt die Vermutung nahe, daß die Folge nie Rahmungen
besessen hat. Mit der Serie wird ein Behang in Verbindung gebracht, der aus der
Salting Collection in den Bestand des Londoner Victoria- and Albert-Museums über-
ging (20). Er bringt die teilweise Wiedergabe einer Giulio Romano zugeschriebenen
Sepiazeichnung — gleichfalls aus der Sammlung Salting —; ein Hoheitszeichen, das
auf den ursprünglichen Besitzer deutet, ist nicht vorhanden. Die nahe Verwandtschaft
mit den voraufbesprochenen Behängen ist unverkennbar, trotzdem will mir die Ge-
wißheit, daß es sich um ein Erzeugnis der Karcher'schen Werkstatt handelt, nicht
sonderlich gesichert erscheinen, insbesondere spricht die flämische Lösung der Bordüre
eher für ein Brüsseler Atelier (21).

Eine in der Gesamtanordnung stark abweichende Puttenserie im Dome zu Mailand,
die sich in ihrer Gliederung — die kleinen Burschen treiben auf einer schweren
Fruchtgirlande ihr heiteres Spiel — mehr dem bekannten „Schlafzimmer Leo's X.11 an-
schließt, das nach den Entwürfen Giovanni da Udine's in der Brüsseler Werkstatt des
Pieter van Aelst nach 1520 entstand (22), trägt gleichfalls das Wappen der Gonzaga,
überhöht von der offenen Krone (Abb. 360). Trotz des Hoheitszeichens spricht die
größere Wahrscheinlichkeit für die Entstehung in der weit bedeutsameren Manufaktur
der Karcher zu Ferrara. Das gleiche gilt von der Mosesfolge (acht Behänge), die als
Geschenk des Herzogs Guglielmo Gonzaga (1550—1573) in den Besitz des Kardinals
Karl Borromäus überging und gleichfalls zu dem Bestände der Mailänder Kathedrale

406
 
Annotationen