Der Zahnbrecher.
Von Geraart Honthorſt.
Man konnte die beiden Männer auf dem halb erleuchteten, weiten Flur kaum erkennen.
Der Eine war eine wahre Rieſengeſtalt, hochbeinig, ſehr breitſchulterig, ein angehender
Fünfziger. Dieſer trug einen ungeheuern Federhut und war ungeachtet der Abendſtunden in
höchſter Galla: in weiten Pluderhoſen, ſeidengepufftem Oberwamms und mit einem Sammtmän-
telchen verfehen, wie die Gerichtsperſonen es zu tragen pflegten. Dieſer Coloß hatte ſeinem
Körper gemäß ziemlich grobe Züge; große waſſerblaue Augen und einen gewaltigen ſtruppigen
Bart. Sein Haar ſpielte ins Graue und ſtand in unregelmäßigen Partien ſtarr unter dem
Hute hervor.
Der Andere war ein höchſt elegant gewachſener und ſchön gekleideter Herr von einund-
zwanzig Jahren, mit friſchem ſchalkhaften Geſichte, braunen Haarlocken, mit einem Stutzerhute
auf dem Kopfe, und in ein Jagdwamms gekleidet. Auch trug er einen reichen Hirſchfänger,
durch eine goldgeſtickte Schärpe um die Hüften geſchürzt.
Die Männer waren in angelegentlichſter Unterhaltung. Der Alte ſchien ſehr aufgeregt
und predigte auf den Jüngling, zwar mit unterdrückter Stimme, aber höchſt eifrig ein. Das-
jenige, was er vortrug, war ſicherlich für ihn eine Sache von außerordentlicher Wichtigkeit, —
eine Lebensfrage.
Dieſe Perſonen waren: der Alte, Mynheer Claas van Slyker, Stadthouder der guten
Stadt Amſterdam, und der Jüngling, Hendrik Ter Schuiring, ein nordholländiſcher Edelmann,
und der Bruder der Baroneſſe Elizabeth von Leuwenbroek, der Eigenthümerin dieſes Gebäudes,
welches wohl den Namen eines Palaſtes verdiente.
„Ich verſichere Euch, Herr Junker Ter Schuiring“, ſagte der Rathsherr, indeß er ihm
ein Schächtelchen, reich mit Gold und Perlmutter verziert, aufzudringen ſuchte, „daß es die aus-
gezeichnetſten Kinder Flora's ſind, welche ſich aus dieſen koſtbaren Keimen entwickeln werden.
Za, koſtbar! Dritthalbtauſend Gulden, wie der Haarlemer Blumiſt beſcheinigen kann! Aber
was ſind dieſe Gulden gegen ein einziges Lächeln Eurer huldvollen Schwefter . . .“
„Mynheer“, erwiederte Hendrik, den Hut ungeduldig rückend und den Alten mit einem
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Von Geraart Honthorſt.
Man konnte die beiden Männer auf dem halb erleuchteten, weiten Flur kaum erkennen.
Der Eine war eine wahre Rieſengeſtalt, hochbeinig, ſehr breitſchulterig, ein angehender
Fünfziger. Dieſer trug einen ungeheuern Federhut und war ungeachtet der Abendſtunden in
höchſter Galla: in weiten Pluderhoſen, ſeidengepufftem Oberwamms und mit einem Sammtmän-
telchen verfehen, wie die Gerichtsperſonen es zu tragen pflegten. Dieſer Coloß hatte ſeinem
Körper gemäß ziemlich grobe Züge; große waſſerblaue Augen und einen gewaltigen ſtruppigen
Bart. Sein Haar ſpielte ins Graue und ſtand in unregelmäßigen Partien ſtarr unter dem
Hute hervor.
Der Andere war ein höchſt elegant gewachſener und ſchön gekleideter Herr von einund-
zwanzig Jahren, mit friſchem ſchalkhaften Geſichte, braunen Haarlocken, mit einem Stutzerhute
auf dem Kopfe, und in ein Jagdwamms gekleidet. Auch trug er einen reichen Hirſchfänger,
durch eine goldgeſtickte Schärpe um die Hüften geſchürzt.
Die Männer waren in angelegentlichſter Unterhaltung. Der Alte ſchien ſehr aufgeregt
und predigte auf den Jüngling, zwar mit unterdrückter Stimme, aber höchſt eifrig ein. Das-
jenige, was er vortrug, war ſicherlich für ihn eine Sache von außerordentlicher Wichtigkeit, —
eine Lebensfrage.
Dieſe Perſonen waren: der Alte, Mynheer Claas van Slyker, Stadthouder der guten
Stadt Amſterdam, und der Jüngling, Hendrik Ter Schuiring, ein nordholländiſcher Edelmann,
und der Bruder der Baroneſſe Elizabeth von Leuwenbroek, der Eigenthümerin dieſes Gebäudes,
welches wohl den Namen eines Palaſtes verdiente.
„Ich verſichere Euch, Herr Junker Ter Schuiring“, ſagte der Rathsherr, indeß er ihm
ein Schächtelchen, reich mit Gold und Perlmutter verziert, aufzudringen ſuchte, „daß es die aus-
gezeichnetſten Kinder Flora's ſind, welche ſich aus dieſen koſtbaren Keimen entwickeln werden.
Za, koſtbar! Dritthalbtauſend Gulden, wie der Haarlemer Blumiſt beſcheinigen kann! Aber
was ſind dieſe Gulden gegen ein einziges Lächeln Eurer huldvollen Schwefter . . .“
„Mynheer“, erwiederte Hendrik, den Hut ungeduldig rückend und den Alten mit einem
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