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Goldschmidt, Adolph
Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser, VIII. - XI. Jahrhundert (Band 1) — Berlin, 1914

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https://doi.org/10.11588/diglit.23832#0016
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DIE ADAGRUPPE

UNTER dem Titel „Adagruppe" hat man eine große Anzahl von
Handschriften zusammengefaßt, in deren Mitte als Namens-
geberin das auf Geheiß der Äbtissin xAda geschriebene Evangeliar in
Trier steht, und deren Ursprung Janitschek nach Metz verwiesen
hat* mit Gründen, die sich als nicht stichhaltig erwiesen haben. Die
Reihe der verwandten Handschriften wurde allmählich sehr ver-
größert und der Entstehungsort an verschiedenen Stellen gesucht,
in Trier, Köln, Aachen, und auf der Reichenau**.
Zweifellos mit dieser Schreibschule und ihrer Tradition in engster
Verbindung steht eine bestimmte Gruppe von Elfenbeinskulpturen,
deren Stil eine starke A nalogie mit dem der Handschriften aufweist***
(Abb. 3). Wenn man nun auch diese plastischen Wer ke mit d emselben
Namen belegt, so geschieht diesnur, weil ersieh eingebürgertund sich
noch keine andere besser zutreffende Bezeichnung gefunden hat.
Da die Adahandschrift auf ihrem Einband keine Elfenbeinplatten
besitzt, dagegen die der gleichen Schule angehörigen Reliefs zum
Dagulfpsalter, den Karl der Große um 790 zum Geschenk an
den Papst bestimmte, noch erhalten sind (Nr. 3 und Tj, so könnte
man vielleicht besser den Namen „Dagulfgruppe" wählen, doch
auch damit wäre nicht viel gewonnen.

Dagegen könnten historische Verhältnisse zu einer anderen Be-
nennung führen. Es ist des öfteren daraufhingewiesen worden, daß
die meisten älteren Handschriften der Adagruppe mit Karl dem
Großen oder seiner Familie nach mehr oder minder gut begründeter
Tradition in Beziehung stehen. Für die ältesten, das Godescalc-
evangeliar (zwischen 781 und y83) und den Dagulfpsalter (vor 795),
ist die Herstellung für den Kaiser durch den Inhalt sicher nach-
gewiesen. Es kommt hinzu, daß unter den Elfenbeinskulpturen
in der Tat diesem Stil die größten und prächtigsten, wenn auch
nicht immer die künstlerisch interessantesten Stücke angehören.
Auch das starke retrospektive Element, das sich im Gegenständ-
lichen wie im Stilistischen gerade in dieser Schule im Heranholen
guter Vorbilder äußert, wie sie als kostbare Geschenke wohl am
ersten im Besitz des Kaisers zu finden waren, ferner der enge An-
schluß an die s | >ä trömischen Konsular-und Kaiserd i ptychen sprechen
für den höfischen Kreis. Man könnte also von einer „Hofschule"
oder „Palastschule" reden. Der Name „Palastschule" ist auch
schon für die Handschriftengruppe in Frage gekommen, führt
hier aber zu Mißverständnissen infolge der gleichen Benennung
Janitscheks für das Wiener Schatzkammerevangeliar und seine \ er-
wandten, die Swarzenski der Reimser Schule einverleiben wolltet.
Der Name „Hofschule" paßte noch am ersten, doch ist er für das
wenige, was wir über die Entstehung der Reliefs wissen, zu eng
gefaßt. Nach französischer Benennungsweise könnte man die
Gruppe als „Stil Karl der Große" und entsprechend die Liuthard-

* H. Janitschek, die Trierer Ada-Handschrift, Leipzig 1889.
** S. Berger, Histoire de la Vulgate pendant les premiers siecles du moyen-age,
i8g3, S. 259 ff. Edmund Braun, Beiträge zur Geschichte der Trierer Buch-
malerei im früheren Mittelalter. 18g5. W. Vöge im Repertorium für Kunst-
wissenschaft 1896, S. 127. Keuffer im Jahresbericht der Gesellsch. f. nützliche
Forschungen. 1899, S. 7311'. Arthur Haseloff, Der Psalter Erzbischof Egberts
von Trier. 1901, S. i65ff. G. Swarzenski, Die Regensburger Buchmalerei des
X. und XI. Jahrhunderts. 1901, S. 5 ff.

*** W. Vöge im Repertorium für Kunstwissenschaft 1899, S. 101.

A. Goldschmidt im Jahrbuch der Kgl. Preuß. Kunstsammlungen XXVI. 1905,

S. 47 ff.

-j- G. Swarzenski im Jahrb. d. Kgl. Preuß. Kunstsammlungen XXIII i9oa, S. 81.

gruppe als „Stil Karl der Kahle" bezeichnen. Ein wirklich sach-
gemäßer Name wird erst dann zu geben sein, wenn man im Stande
sein wird, das örtliche Zentrum oder den maßgebenden Künstler
zu nennen. So lange bleibt man am besten beim Hergebrachten.
Überblicken wir die Gesamtheit der erhaltenen Stücke dieser
Gruppe, so zeichnen sie sich, wie schon gesagt, rein äußerlich
durch die Größe und das Format aus, das sich vielfach an das der
Konsulardiptychen hält (Nr. 8, 9, 10, 11, 18, 19, 21, 22, 24, 27,
87, 89), oder die spätantiken fünfteiligen Diptychen mit Mittel-
platte und umrahmenden Teilen nachahmt (Nr. 5, i3, 3o, 3r,
38). Die meisten Darstellungen bestehen aus großen klaren Figuren,
vielfach aus Einzelgestalten, aber auch dort, wo historische Szenen
wiedergegeben werden, übertreffen die Dimensionen gewöhnlich
diejenigen auf den Szenen der anderen Schulen. Rei Nr. 5 und
3i sind es nur die einrahmenden Reliefs, die einen kleineren
Maßstab zeigen.

Schon diese äußerliche Eigentümlichkeit der Dimensionen gibt
den Werken der Gruppe eine gewisse Vornehmheit und Eindring-
lichkeit. Dazu kommt die Sorgfalt und Glätte in der Ausführung
vieler Stücke und endlich das Nachleben der Schönheit antiker
Formen in den Gestalten selbst, in der Ruhe der Bewegungen und
Gesten.

Die Köpfe haben weiche runde, mit Vorliebe jugendliche Formen
mit lockigem Haar und weitgeöffneten Augen, in denen die Pu-
pille meist eingebohrt und die Iris markiert ist. Bei 1, 2 und 18
sind in ihnen farbige Einlagen erhalten. Die Nase wird nach unten
ziemlich breit, die Oberlippe tritt, nach den Seiten deutlich ab-
gegrenzt, stark heraus, die Unterlippe ist rundlich, die Mundwinkel
sind erweitert. Die Ohren werden meist nur in ihrem untersten
Teil unter dem Haar sichtbar; wo sie aber ganz erscheinen, sind
sie im einzelnen durchgebildet, mit besonderer Betonung des kleinen
Eckmuskels vor dem Gehörgang. Die Haare sind meist in feste
kleine Löckchen abgeteilt und mit einer feinen Parallelstrichelung
überzogen.

Die Körper zeigen an ihren nackten Teilen sehr volle, weiche
Formen und drücken sich durch die Gewandung besonders an
Armen und Beinen in glatten gerundeten Partien inmitten dichter
Faltenansammlungen durch. Die Gewandung ist nach antiken
Motiven drapiert, mit starker Betonung des Linearen in der Falten-
bewegung und besonders großer Lebhaftigkeit in dem Zickzack
der Saumkonturen, die auch in der Einzelbildung an die Hand-
schriften der Adagruppe erinnern. In 1 und 2 sind diese Falten-
brechungen noch ganz ungelenk, die Linien hart und eckig, in den
folgenden sind sie dagegen weich und beweglich und in 8, 9, be-
sonders aber 11, 12, 14 steigert sich das Gegeneinander und Durch-
kreuzen der Faltenlinien fast zum Eindruck eines dekorativen
Flechtwerkes.

Die Gruppe trägt auch an Einzelheiten allerlei Merkmale, die ihren
inneren Zusammenhang" andeuten. Die Finger sind lang und
meist an der Spitze etwas nach außen gebogen, wie in karolingi-
schen Miniaturen, die Behandlung des Erdbodens zeigt durchweg
rundliche Klumpen, die durch eingravierte Schraffuren eine
Art Schattengebung erhalten, was auf gezeichnete Vorlagen hin-
weist (8, 20, 22, 18, 27, 3i, 37 schon modifiziert), die Architektur
hat ganz charakteristische Ziegeldächer, bei denen die Ziegel wie
Schieferplatten in Bhombenform nebeneinander erscheinen und
 
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