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Goldschmidt, Adolph
Die Elfenbeinskulpturen aus der Zeit der karolingischen und sächsischen Kaiser, VIII. - XI. Jahrhundert (Band 2) — Berlin, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.23833#0071
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ELFENBEINSKULPTUREN

(ii

gruppe und ihren Abzweigungen eigentümlich. Es hätten diese

Stücke ihren Platz also eigentlich im ersten Bande finden müssen.

Literatur: Westwood, Fictile Ivories, S. 385 (1876). — H. Bouchot, Les re-
liures d'Art de la Bibliotheque Nationale 1888, Taf. III. — H. Bouchot in Les
Arts Nr. 3, 1902, Abb. S. 10. — Zur Handschrift: Leopold Delisle, Memoire
sur d'anciens sacrarnentaires 1886, S. 289 ff. — Comte de Bastard, Ornements
des Manuscrits, Taf. a3a—233. — Rohault de Fleury, La Messe, I, Taf. XIII.

195. BUCHDECKEL. TAFEL LXX
Thronender Petrus.
XI. Jahrhundert(?).

Prag, Bibliothek des Metropolitankapitels, Cim. 2.
Höhe 25,5 cm, Breite 11,7 cm.

Die Handschrift, in deren Vorderdeckel das Elfenbein eingelassen ist, ist ein
Evangeliar des IX. Jahrh. mit Miniaturenschmuck im franko-sächsischen Stil.
Die vergoldeten Mittelstreifen mit Gravierungen und Halbedelsteinen, die im
übrigen den Vorderdeckel schmücken, sind Arbeiten des XIV. Jahrhunderts,
vermutlich böhmischer Herkunft, den Rückdeckel bekleidet ein altorientalischer
Stoff, doch zeigt er eine viereckige Vertiefung im Holz von den gleichen Maßen
wie das Elfenbeinrelief der Vorderseite, so daß auch hier das frühere Vor-
handensein eines solchen anzunehmen ist. Dieser Elfenbeinschmuck braucht
nicht erst von der Montierung im XIV. Jahrhundert herzurühren, sondern kann
schon zugleich mit den Holzplatten den älteren Einband ausgemacht haben.
Ob dieser aus der Entstehungszeit der Handschrift oder erst aus dem XI. Jahr-
hundert stammt, würde sich aus einer festen Datierung des Elfenbeins ent-
scheiden lassen, doch ist die genaue Stilbestimmung sehr schwer, da es sich um
keine Neuschöpfung, sondern um eine Überarbeitung eines Konsulardiptychons
des V. Jahrhunderts handelt. Ob davon auf der Bückseite noch Spuren sicht-
bar sind, war nicht festzustellen.

Stark zerschrammt, und an hohen Stellen wie am Haar abgerieben.
Petrus mit Tonsur und leichter Bartangabe, die Schlüssel in der
Linken und eine Schriftrolle in der Beeilten thront vor einem von
Türmen flankierten Bogen, auf dem ein Kuppeldach angedeutet
ist. Die Platte hat keinen Rand, sondern ist direkt am Relief-
grunde abgeschnitten. Eine Replik des Konsulardiptychons, das
der Umwandlung zugrunde lag, ist nicht erhalten, aber es gibt
eine Beihe ähnlicher, welche die wesentlichen Bestandteile ent-
halten. Nach der festen Art des Sitzens und der Kopfstellung muß
es sich um ein Stück des V. Jahrhunderts handeln. Besonders her-
anzuziehen ist das Probianusdiptychon in Berlin um 4oo (Abb. l\ 1).

Dort findet sich die kleine Tütenfalte über dem linken Oberarm, die
gleiche Manteldrapierung um die Hand und die entsprechende Ge-
wandordnung am Unterkörper, die wiederum in manchen Bestand-
teilen mehr an das Boethius-Diptychon vom Jahre 487 (Abb. 42)
erinnert. Der stolaartige Streifen, der zur Konsulartracht ge-
hört, ist zwischen den Beinen stehengelassen, während er am Ober-
körper, wo er sich über die linke Schulter legt, abgeschliffen und
durch neu eingeschnittene Faltenlinien unkenntlich gemacht ist.
Doch ist die obere Grenzlinie, die von der linken Schulter hinüber-
führt unter den rechten Arm, stehengeblieben, ebenso wie rechts
die Kante des herabfallenden Streifens neben der Tütenfalte,
auch gewahrt man vor der linken Schulter noch die schwachen
Beste des abgeschliffenen Kreisornamentes, mit dem die meisten
Konsulargewänder geschmückt sind. Das Zepter ist mühsam
iu Schlüssel umgewandelt, die Mappe in eine Schriftrolle, das
Haar auf der Mitte des Kopfes weggeschnitten und mittels einer
eingravierten Kurve zur Tonsur verändert, die beschuhten Füße
sind zu nackten umgestaltet. Der Nimbus und die Architektur
des Hintergrundes sind neu hinzugekommen, entweder aus dem
glatten Grunde oder nach Abhobeln der dort vorhandenen Relief-
teile. Diese sehr flach behandelten Architekturstücke, zu denen
auch die untere Thronfläche zu rechnen ist, sowie die zeichnerische
Schraffierung der Gewandfalten, die der plastischen antiken Unter
läge künstlerisch ganz widerspricht, müßten als Kriterium für
die Zeitbestimmung der Umwandlung dienen. Es ist danach nicht
ausgeschlossen, daß diese schon zur Zeit der Entstehung der
Handschrift, also im IX. Jahrhundert, stattgefunden hat, doch ist
sie auch um zwei Jahrhunderte später nicht unmöglich. An den
Seiten, besonders oben und unten, ist die Diptychonplatte stark
beschnitten worden.

Literatur: Fr. Bock in den Mitteilungen der Zentralkommission XVI, 1871,
S. 101 mit Abb. Auswahl von kunstgewerblichen Gegenständen aus der retro-
spektiven Ausstellung in Prag 1891, herausgegeben vom Kunstgewerbe-Museum
in Prag 1892, Taf. 27. — Anton Podlaha, Die Bibliothek des Metropolitan-
kapitels, Topographie der historischen und Kunstdenkmale im Königreich
Böhmen, Prag Hradschin II, 2. Prag 1904, S. 20.
 
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