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Goldschmidt, Adolph
Die deutsche Buchmalerei (Band 1): Die karolingische Buchmalerei — Firenze, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.25237#0015
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DIE KAROLINGISCHE BUCHMALEREI IN DEUTSCHLAND

Eine der bedeutungsvollsten Uebernahmen aus der spätantiken Kultur, viel-
leicht die wichtigste, war das Buch. Nicht nur bildete es die Stütze der
christlichen Mission, nicht nur tiberbrachte es dem Mittelalter die Wissen-
schaft und Literatur der Vergangenheit, es vermittelte in seinem Schmuck
die bildkünstlerische Form der antiken Malerei, wenn auch nicht immer in
reinster Gestalt. Es bildete im N orden den Ausgangspunkt für die bildliche
Gestaltung der Welt der Erscheinungen, der menschlichen und göttlichen
Ereignisse, und behielt bis zum Eintritt der Gotik durchaus die Führung
im bildnerischen Schaffen, auch für die Plastik. Und da kein anderes Material
in seinem heutigen Bestand eine solche Reichhaltigkeit und eine solche Kon-
tinuität aufweist wie die Buchmalerei, so bietet diese die festeste Grund-
lage für die Beurteilung der mittelalterüchen künstlerischen Ausdrucksweise,
für die Abschätzung des Verhältnisses zur Natur und für die Würdigung
der dekorativen Begabung.

Es ist sicherlich richtig, daß die Monumentalmalerei, wie sie sich an den
Wänden der Kirchen und Paläste ausbreitete, gegenüber der Miniaturmalerei
als die bedeutendere gelten konnte und größere Künstlerkräfte forderte,
und daß sie es war, die der Menge des Volkes vor Augen stand und ihr die
Vorstellung der Heilsgeschichte, der Erzählungen der Bibel, theologische
Phantasien und dogmatische Allegorien einprägte, denn das geschmückte
Buch befand sich, wenigstens in den älteren Jahrhunderten, fast nur in den
Händen der Geistlichen, der Insassen der Klöster und der zelebrierenden
Priester; aber da diese die Träger der Tradition bildeten, so war es eben
auch das Buch, das diese Tradition nährte, und das den Stoff bot, aus dem
nicht nur die Generationen der Illustratoren, sondern auch die Monumental-
maler schöpften.

Das Buch ist in der Hauptsache ein Produkt des vierten Jahrhunderts, der
Zeit, da man allgemein von der Schriftrolle zum Codex überging. Die For-
derung der Bibliotheken jener Epoche war die Umschreibung der in Rollen
überkommenen Literatur in die Form gehefteter Bücher, und der Zeitpunkt
dieses Prozesses ist insofern von der allergrößten Wichtigkeit, als die Wert-
schätzung durch das derzeitige Publikum fiir die Ueberlieferung der Literatur
auf die Nachwelt maßgebend war, denn nur, was man damals für wert hielt,
wurde übertragen und dadurch auch für zukünftige Abschriften gerettet,

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