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Goldschmidt, Adolph
Die deutsche Buchmalerei (Band 2): Die ottonische Buchmalerei — Firenze, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.25238#0013
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DIE OTTONISCHE BUCHMALEREI IN DEUTSCHLAND

Wenn der Angelsachse Beda in seinen Lebensbeschreibungen der Aebte
des nordenglischen Klosters Weremouth erzählt, daß der Abt Benedikt am
Ende des siebenten Jahrhunderts aus Italien Bilderzyklen mitbrachte und
damit Wände und Decken seiner Kirchen schmückte, so daß dort Parallel-
reihen des Alten und Neuen Testamentes die Gläubigen belehrten und er-
bauten, so können wir uns schwer vorstellen, daß er Wagen- und Schiffs-
ladungen ganzer Kirchenausstattungen nach dem Norden beförderte, son-
dern es liegt näher, daß er nur die Vorlagen für solche Gemälde in der Form
von Buchmalereien mit sich führte, die dann auf Wände und Decken ins
Große übertragen wurden. Daß es dort austibende Kräfte gab, die sich
einer solchen Arbeit unterziehen konnten, wird uns durch zwei angelsächsi-
sche Bilderhandschriften beglaubigt, durch den um 700 entstandenen Codex
Amiatinus der Laurenziana in Florenz und durch das gleichzeitige Evan-
geliar von Lindisfarne im Britischen Museum, dessen Evangelistenbilder nach
einem süditalienischen Vorbild geschaffen sind. Zwar müssen auch die
Wandbilder, nach dem Lindisfarne-Evangeliar zu schließen, ihren eigenen,
vom Vorbild abweichenden Sril angenommen haben, aber sie waren dem
Beschauer jedenfalls dem Vorwurf nach verständlich. Auch ist es nicht
ausgeschlossen, daß mit den Vorlagen zugleich im Süden geschulte, im
Malen erfahrene Geistliche in die neuen Kulturstätten übersiedelten.

Was gegenüber der Herstellung von Wandgemälden durchaus wahrschein-
lich ist, ergibt sich als sicher für die Illustrierung von Handschriften. Sie
schöpften aus den der spätantiken Kunst entsprossenen Vorlagen zugleich
mit den heiligen Texten die bildliche Auffassung der Erzählungen und die
Versinnlichung religiöser Vorstellungen. Wie stark mußte der Eifer der
Mönche dahin gerichtet sein, sich ein solches Vorbild zu verschaffen, fehlte
es doch zunächst vollständig an jeder Möglichkeit, eine so reiche Welt der
Vorgänge aus eigener Erfindung verständlich zu gestalten. Wenn man be-
denkt, eine wie lange Zeit die antike Kunst gebraucht hat, um zu einer
illusionistischen Wiedergabe der Welt zu gelangen, wie sie die hellenistische
Kunst geschaffen hat, wird man sich klar sein müssen, daß Menschen, die
ganz neu mit den Ausläufern dieser Kultur in Berührung traten, nicht etwas
Entsprechendes aus sich selbst schaffen konnten, sondern entweder ganz un-

1 Goldschmidt II

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